Gemeindehaus in Unterengstringen von Tilla Theus

Ornamentales Kleid

Thomas Geuder
29. January 2018
Der historische Dorfkern von Unterengstringen hat seit 2017 ein neues Gemeindehaus, entworfen von der international renommierten Architektin Tilla Theus. (Bild: Thomas Züger / Tilla Theus)

Projekt: Gemeindehaus (Unterengstringen, CH) | Architektur: Tilla Theus und Partner AG (Zürich, CH) | Bauherr: Gemeinde Unterengstringen | Hersteller: Scherrer Metec AG (Zürich, CH), Kompetenz: gelaserte Aluminiumfassade | weitere Projektdaten siehe unten

Unterengstringen – gelegen relativ mittig zwischen Zürich und Baden – gehört im Prinzip zu jenen Gemeinden, durch die man eigentlich nur hindurch fährt. Sie liegt im Kreuz der Autobahnen 1 (die hier Richtung Norden in einen Tunnel taucht) und 3 bzw. einem Zubringer nach Zürich Stadt. Am Stadtrand fließt die Limmat vorbei. So gesehen hat Unterengstringen eine perfekte Verkehrsanbindung, eine günstige Lage nur einen Steinwurf von Zürich entfernt und gilt deshalb sogar als bevorzugte Wohnlage, mit Waldungen und beliebten Erholungsgebieten. Es herrscht noch eine recht dörfliche Atmosphäre, entsprechend groß ist die Identifizierung der Einwohner mit dem Ort. Hier ein neues Gemeindehaus zu bauen, bedeutete für die Architektin Tilla Theus aus Zürich (selbst gebürtige Bündnerin) auch, sich intensiv mit dem Ort auseinanderzusetzen. Und doch galt es ebenfalls, eine Architektursprache zu finden, die nicht das Alte kopiert, sondern mit zeitgenössischen Methoden ein Bauwerk schafft, das Tradition und Zukunft in sich vereint. Die Architektin schafft das sowohl in Gebäudekubatur als auch in der Ausprägung der Materialität.

Zuvor befand sich am für das Bauvorhaben vorgesehen Ort eine große Scheune bzw. ein Lagerhaus aus dem Jahr 1929, mit markantem, großzügigem Dachüberstand an seiner Längsseite entlang der Straße, unter dem die Lastenfahrzeuge regengeschützt beladen werden konnten. Dieses Thema nimmt Tilla Theus in ihrem Entwurf auf und knickt alle Außenwände jeweils einmal ein, sodass an beiden Längsseiten ein Dachüberstand entsteht, der einen eleganten Schatten auf die Fassaden wirft. Die Giebelseite an der Westseite erhält einen auffälligen Giebelerker samt großem Fenster, ein Zitat, das die Architektin aus Graubünden mitgebracht hat. Hinter dem neuen Gemeindehaus ist nun ein großzügiger Platz angeordnet, an dem nicht zuletzt auch der Eingang befindet.

Entlang der Straßenseite bildet der elegante Dachüberstand ein Verweis auf das Lagerhaus, das sich hier zuvor befand und dessen Dach als Regenschutz weit auskragte. (Bild: Thomas Züger / Scherrer Metec)

Blickfang am Entwurf ist neben der prägnanten Gebäudkubatur vor allem die Fassade. Sie besteht aus einer zweiten Schicht, die in ihrer Symbolhaftigkeit dem Ort alle Ehre macht. Aus den vorgehängten, farbeloxierten Aluminiumschindeln ist ein Muster in Form von Pflugschar und Rebmesser herausgelasert, eine Referenz auf das Wappen von Unterengstringen, das seinen Ursprung im Jahr 1734 hat. So entsteht ein filigranes Kleid, das im Zusammenspiel mit der dahinterliegenden, roten Fassade (ebenfalls Aluminium, punktuell und versteckt befestigt) eine hohe Dreidimensionalität sowie ein vielfältiges Schattenspiel erzeugt. Die Anfertigung wie auch die Montage erfolgten von dem Züricher Spezialisten Scherrer Metec, ein Schweizer Traditionsunternehmen mit über 120 Jahren Erfahrung in Fassaden- und Metalltechnik. Anspruchsvoll war hierbei die hohe Genauigkeit, die etwa an den Gebäudeecken eingehalten werden musste, damit das Kleid auch wirklich durchgehend wie übergeworfen wirkt. Die Fenster dahinter nehmen den Schwung des Fassadenkleids auf und vervollständigen ihn zu einer ovalen Öffnung. Im Innenraum schließlich herrscht formale wie materielle Klarheit, eine Art gestalterischer Gegenpol zur Außenansicht – und nicht zuletzt ein Verweis auf die in der Schweiz vorherrschende Reduktion in der Architektur. So gelingt der Architektin Tilla Theus ein Bauwerk, das durch seine charakteristische Ornamentik voll und ganz in der Tradition des Ortes steht und diese doch in die Zukunft weiter denkt.

Hinter dem Haus entsteht nun ein Platz auf zwei Ebenen mit einer großzügigen Freitreppe. (Bild: Thomas Züger / Tilla Theus)
Schwarzplan/Situation (Quelle: Tilla Theus)
Grundriss Dachgeschoss (Quelle: Tilla Theus)
Grundriss Obergeschoss (Quelle: Tilla Theus)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: Tilla Theus)
Grundriss Untergeschoss (Quelle: Tilla Theus)
Die eloxierte Aluminiumschindel-Fassade mit den Symbolen des Wappens von Unterengstringen kennzeichnet das Gebäude als öffentliches Bauwerk. (Bild: Thomas Züger / Scherrer Metec)
Vorbild für die Fassadengestaltung ist das Wappen von Unterengstringen mit Pflugschar und Rebmesser auf rotem Hintergrund. (Quelle: Tilla Theus)
Die Fenster sind folgen der Form, die durch das Fassadenkleid vorgegeben ist. (Bild: Thomas Züger / Tilla Theus)
Im Innenraum ergeben die ovalen Fenster mit der filigranen Fassade eine spannende Raumbeleuchtung. (Bild: Thomas Züger / Tilla Theus)
Die Atmosphäre innen ist von einer reduzierten Klarheit und einer hochwertigen Materialität geprägt. (Bild: Thomas Züger / Tilla Theus)
In der Nacht tritt die Wirkung der Fassade in den Hintergrund und das Muster der Fensteröffnungen beherrscht die Ansicht. (Bild: Thomas Züger / Tilla Theus)
Entwurfsinspirationen: der Vorgängerbau, eine Scheune und Lagerhaus, sowie das Pfarrhaus in Igis/Graubünden. (Quelle: Tilla Theus)

Projekt
Gemeindehaus
Unterengstringen, CH

Architektur
Tilla Theus und Partner AG
Zürich, CH

Bauherr
Gemeinde Unterengstringen

Hersteller
Scherrer Metec AG
Zürich, CH

Kompetenz
gelaserte Aluminiumfassade

Totalunternehmer
Allreal Generalunternehmung AG
Zürich, CH
Fassade, Dach, Spenglerarbeiten, Dachkonstruktion in Holz
Scherrer Metec AG

Bausumme
rund 8 Mio. SFR

Fertigstellung
2017

Fotografie
Thomas Zueger
Tilla Theus
Scherrer Metec


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