Haus Lindetal von AFF Architekten und Stephan Hahn Architekt & Zimmerer

Handwerklichkeit

Thomas Geuder
28. May 2017
In der Gemeinde Lindetal bei Neubrandenburg haben AFF Architekten und Staphen Hahn ein Wohnhaus nach traditioneller Handwerkskunst errichtet. (Bild: Hans Christian Schink)

Projekt: Haus Lindetal (Lindetal, DE) | Architektur: AFF Architekten (Berlin, DE) und Stephan Hahn Architekt & Zimmerer | Bauherr: privat | Hersteller: Ottosson Färgmakeri AB (Genarp, S), Kompetenz: Leinölfarbe Graphit | vollständige Bautafel siehe unten

Vom einst vieldiskutierten Begriff der «Nachhaltigkeit» hat mittlerweile fast jeder zumindest eine Vorstellung, auch wenn die im Fokus durchaus noch variieren kann. Mehr noch: Heute muss ein Gebäude «smart» sein, was selbstredend auch je nach Neigung unterschiedlich ausgelegt werden kann. Oftmals ist damit eine gewisse Technologisierung des Gebäudes gemeint, das intelligent auf den Nutzer zu reagieren vermag. Die eingesetzten Materialien und Produkte dürfen außerdem gerne «grün» sein, damit das Bauwerk diverse Umweltzertifizierungen erfüllt. Das Bauen wird bei alledem gerne automatisiert, so weit wie möglich unterstützt durch maschinelle Vorfertigung. Das kann man als Fortschritt sehen, aber auch als Verlust am Bauen selbst. Letzteres verfolgen AFF Architekten und Stephan Hahn Architekt & Zimmerer bei ihrem Projekt Haus Lindetal, mit dem sie eine kritische Gegenthese zur Materiallogistik des heutigen Bauens durch die offensichtliche Rückbesinnung auf das traditionelle Handwerk und die Ablehnung der maschinellen Produktion erzeugen möchten. In diesem Sinne geschieht der gesamte Bauprozess direkt vor Ort, weswegen auf der Baustelle konsequenterweise auch eine provisorische Bauhütte samt Abbundplatz und Holzlager eingerichtet wurde, die zugleich als Heim und Arbeitsstätte diente. Holz als lokal verfügbarer Baustoff aus Sägewerken der Umgebung ist das vorherrschende Baumaterial, aus dem das Einfamilienhaus errichtet ist. Auch hier herrscht Konsequenz: Auf industrielle Plattenwerkstoffe wurde radikal verzichtet. Für die Planer ist das mehr als eine Entscheidung. Ihnen geht es um nicht weniger als die «Wertschätzung und die ehrliche Haltung der Konstruktion als Ausdruck und Stolz des wandernden Zimmermannshandwerks».

Große, klar positionierte und geformte Fensteröffnungen gliedern den schlichten Baukörper. (Bild: Hans Christian Schink)

Der Entwurf des Hauses ist als Gegenmodell zum Wohnen in der Stadt gedacht und will einen Rückzugsort im überschaubaren Kontext der Siedlung auf dem Land bieten. Dort ist das bauliche Bild mittlerweile geprägt von einer Mischung aus traditionellen Bauernhöfen, einfachen und sparsamen Gehöften aus der Neubauernzeit wie auch zeitgenössischen Einfamilienhäusern in den typischen Varianten industrieller Bauproduktion. In diesem Potpourri wollen die Architekten mit dem Haus Lindetal einen traditionellen Brückenschlag unternehmen und verstehen ihr Vorhaben somit auch als Appell an die Zurückhaltung, Präzision, Eleganz und Rustikalität. Konkret bedeutet das: Das Gebäude besteht aus einer massiven Betonbasis, die die Bodenplatte sowie Wand- und Treppenelemente des Erdgeschosses formt. Darüber erhebt sich ein Tragwerk als Holzrahmenwerk aus Kiefer mit einem Schwellenkranz aus Eiche, das nach strengen, handwerklichen Regeln ausgeführt und in zimmermannsmäßigem Abbund mit eisenfreien Holzverbindungen gefügt ist. Alle Konstruktions-, Schal- und Dielenhölzer des gesamten Bauwerks wurden aus zwei lokalen Sägewerken bezogen und vor Ort weiterverarbeitet. Zum Einsatz kamen so 55 m³ im Winter geschlagenes Holz aus Douglasie, Eiche, Lärche, Kiefer und Esche. Die Hülle ist mit einem flexiblen Holzfaserdämmstoff versehen und hinterlüftet ausgeführt, das Dach ist mit Bitumen gedeckt. Die intensive dunkelgraue, fast schwarze Färbung der Außenhaut rührt nicht – wie man vielleicht zunächst vermuten würde – von einem Abflammen der Oberfläche (wie etwa bei der Havwoods-Kollektion Shou Sugi Ban, wir berichteten: Feuerholz). Vielmehr sind alle Hölzer im Außenbereich wie die einseitig unbesäumte Lärchenstulpschalung, die Eichenfenster und Eichenlaibungen und das Tor mit Leinölfarbe Graphite (Ottoson) versehen, ein ebenfalls auf traditionelle Weise und mit viel Handarbeit hergestelltes Produkt. Das kaltgepresste Leinöl besitzt eine geringere Oberflächenspannung als Wasser und somit ein hohen Eindringvermögen, wodurch das Holz vor Fäule geschützt wird.

All das – die detailverliebte Konsequenz in der Auswahl der regionalen, naturbelassenen Materialien, die Entscheidung für eine traditionsbewusste Bauweise mit hohem ästhetischem Anspruch, die raffinierten und sinnvollen historischen Holz-Holz-Verbindungen, die aufgrund der heute zur Verfügung stehenden Bearbeitungstechnik effizient wiederbelebt werden können – war der Jury des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ausgelobten Bundeswettbewerbs HolzbauPlus Anfang Januar eine Auszeichnung in der Kategorie Einzelhaus/Neubau wert. Gratulation!

Sämtliche Hölzer im Außenbereich sind mit natürlicher Leinölfarbe Graphite versehen, das das Holz vor Fäule schützt. (Bild: Hans Christian Schink)
Der größte Raum ist die hohe Wohnhalle, eine Idee, die aus der Gebäudetypologie des niederdeutschen Hallenhauses entwickelt ist. (Bild: Hans Christian Schink)
Grundrisse Erdgeschoss und Obergeschoss (Quelle: AFF)
Isometrien Konstruktion (Quelle: AFF)
Anschlussdetails Holzverbindungen (Quelle: AFF)
Der fast schon skulpturale Betonkern bildet die Basis mit Bodenplatte, Treppen und Wänden. (Bild: Sven Fröhlich)
Als Rückbesinnung auf das traditionelle Handwerk verstehen die Erbauer ihr Projekt, bei dem das Knowhow vor allem auf der Baustelle besteht. (Bilder: Beatrice Staib und Sven Fröhlich)
Das Tragwerk ist als Holzrahmenwerk aus Douglasie mit einem Schwellenkranz aus Eiche in zimmermannsmäßigen Abbund mit eisenfreien Holzverbindungen ausgeführt. (Bild: Hans Christian Wieser)
Die Holzrahmenkonstruktion wurde nach sechswöchigem Abbund in einer Woche kranfrei um den Betonkern errichtet. (Bild: Hans Christian Wieser)
Durch die unregelmäßige Schalung und die Homogenität durch den monochromen Graphit-Leinöl-Anstrich wirkt das Wohnhaus in mancher Auge wie eine Scheune. (Bild: AFF)
In der eigens für den Bau errichteten Hütte wurde auch bis in die dunklen Stunden gearbeitet. (Bild: Hans Christian Wieser)

Gunnar Ottosson erklärt die Vorteile von Leinölfarbe. (2:39 min., Deffner & Johann GmbH)

Eingepasst in den alten Baumbestand des ehemaligen Dorfkruggehöftes fügt sich das Gebäude wie selbstverständlich in eine ehemalige Lücke der Dorfmitte. (Bild: Hans Christian Schink)

Projekt
Haus Lindetal
Lindetal, DE

Architektur
AFF Architekten
Berlin, DE

und
Stephan Hahn Architekt & Zimmerer

Hersteller
Ottosson Färgmakeri AB
Genarp, S

Kompetenz
Leinölfarbe Graphit

Bauherr
privat

Statik
Ingenieurbüro Lars Janke
Brandenburg, DE

Bauphysik
BBS Ingenieurbüro Gronau+Partner
Weimar, DE

Zimmerei
Stephan Hahn, Architekt & Zimmerer

Fertigstellung
2016

Fotografie
Hans Christian Schink
Sven Fröhlich
Beatrice Staib
Hans Christian Wieser


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