Gipfelrestaurant Monte Generoso von Mario Botta

Bergblume

Thomas Geuder
16. October 2017
Mario Bottas Entwurf des neuen Gipfelrestaurants auf dem Monte Generoso hat viele Inspirationsquelle, die sich allesamt in der Bergwelt finden. (Bild: Enrico Cano / Mario Botta Architetti)

Projekt: Gipfelrestaurant «Fiore di pietra» (Monte Generoso, CH) | Architektur: Mario Botta Architetti (Mendrisio, CH) | Bauherr: Ferrovia Monte Generoso SA (Capolago, CH) | Hersteller: Jansen AG (Oberriet, CH), Kompetenz: Sonderanfertigung Pfosten-Riegel-Fensterfassade und Brandschutzelemente | weitere Projektbeteiligte siehe unten

Die Schweiz hat bekanntlich eine teils spektakuläre Bergwelt zu bieten, die bei Wanderern wie Bergsteigern überaus beliebt ist. Immer wieder erstaunlich und auch praktisch ist zudem, dass viele Höhen auf der Schiene «erklommen» werden können, oft per Zahnradbahn auf atemberaubenden Strecken. Eine dieser besonderen Strecken windet sich von Capolago am Luganersee auf 273 m ü. M. rund neun Kilometer lang bis hinauf zum Monte Generoso bzw. dessen Gipfelrestaurant auf 1600 m ü. M., von wo aus man zu Fuß nur noch gut 100 Höhenmeter zum Gipfel auf 1704 m ü. M. zurücklegen muss. Oder man bleibt gleich im Restaurant neben der Bahnstation, von wo aus man einen herrlichen Blick über den Luganersee und die Alpen bis zur Po-Ebene genießen kann. Bis vor Kurzem befand sich hier noch das Hotel und Restaurant Vetta, architektonisch eine eher praktische Kiste, die 2010 aus Sicherheitsgründen geschlossen werden musste, weil sich der Untergrund bewegt hatte und sich Risse im Gebäude bildeten. Der nun entstandene Neubau – ein Restaurant mit Ausstellungs- und Konferenzräumen – wurde von Mario Botta errichtet, der selbst in der Bergwelt des Tessins aufgewachsen ist, sein Architekturbüro im nur wenige Kilometer entfernten Mendrisio hat und deswegen bestens vertraut ist mit der speziellen Atmosphäre der Berge.

Hoch oben – kapp unterhalb des Gipfels – auf 1600 m ü. M. und doch per Bahn erreichbar ist das neue Restaurant «Fiore di pietra». (Bild: Enrico Cano / Mario Botta Architetti)

Atemberaubend an dem Ort, an dem der Neubau errichtet ist, ist die Lage, ein kleines Plateau an der Spitze einer 300 bis 400 m hohen Felsformation, die Mario Botta schließlich die Idee für seinen Entwurf gab. Sein Gebäude basiert auf einem oktogonalen Grundriss, dessen Fassade wie einzelne Blütenblätter aus Stein geformt ist. So nennt er seinen Entwurf auch «Fiore di pietra», Blume aus Stein also. Genau genommen geht es sogar nur um die Blüte: Die acht Blütenblätter fassen ein fünfstöckiges Gebäude mit Haupteingang im Erdgeschoss auf Höhe des Bahnhofs. Hier befindet sich ein kleiner Ausstellungsraum zur Geschichte des Monte Generoso, der immerhin seit über 125 Jahren durch die Bahn erschlossen ist. Treppenhäuser und Aufzüge führen vom Erdgeschoss nach oben in eine Technikebene, in eine Ebene mit Konferenzraum und Büros, in die Ebene mit dem Selbstbedienungsrestaurant «Generoso» sowie darüber dem Restaurant «Fiore di Pietra» mit großzügig verglasten Panoramaöffnungen. Ganz oben auf dem Dach schließlich lässt sich auf einer Aussichtsplattform der atemberaubende Panoramablick genießen.

Die Fassadenoberflächen bestehen, neben dem Glas, aus Naturstein, abwechselnd glatt und rau, wodurch eine horizontale Gliederung erzeugt wird. (Bild: Enrico Cano / Mario Botta Architetti)

Die geschlossenen Fassadenflächen – die «Blütenblätter» – sind mit grauem Naturstein verkleidet, in zwei Oberflächenausführungen poliert sowie scharriert. Durch die horizontale Verlegung der Platten entsteht eine Oberfläche, die als Interpretation des nackten Berggesteins verstanden werden will. Die Flächen zwischen den Blütenblättern sind verglast mit einer Pfosten-Riegel-Konstruktion, deren Profil-Ansichtsbreiten nur 50 mm betragen. Auch die Blütenblätter selbst sind mit Glasfassaden versehen, im Bereich des Selbstbedienungsrestaurants noch mit einem kleinen, darüber im Restaurant mit großflächigen Fenstern.

Die Anforderungen an die Verglasung ist in dieser Lage besonders hoch: Die statische Bemessung der Fassadenelemente basiert auf der Annahme einer Schneelast von 10,8 kN/m² und einer maximalen Windgeschwindigkeit von 178 km/h, was einem Druck von 1,54 kN/m² entspricht. Gleichzeitig durfte die Durchbiegung maximal zehn Millimeter betragen. Der Fassadenplaner entwickelte auf dieser Grundlage eine Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Stahl mit Dreifachverglasung im Raster 150 x 500 cm, drei Felder breit und zwei Felder hoch. Oben entwickelt sich die Glasfassade sogar zur Brüstung, sodass der Blick auf der Terrasse noch freier ist. Die Scheiben sind eine Sonderanfertigung: Wegen des geringeren Luftdrucks in 1600 Meter Höhe waren sie nur zu 90 Prozent mit Argon gefüllt. Der Gesamtenergiedurchlass der Elemente ist mit 0,6 W/m2K berechnet.

Auf der Ebene des Selbstbedienungsrestaurants «Generoso» finden die Wanderer und Ausflügler auch einen kleinen Souvenir-Shop (links). (Bild: Enrico Cano / Mario Botta Architetti)

Bestimmend für den Innenraum war unter anderem der Brandschutz, durch den das Treppenhaus von den restlichen Bereichen abgetrennt werden musste. Das führte vor allem im Eingangsbereich zu einer Sonderlösung, denn die Schweizer Norm fordert für Brandschutztüren Türgriffe mit Daumenbremse, um versehentliches Abrutschen auszuschließen. Der dadurch entstehende, unvermittelte «Knick» verleiht den Sicherheitsgriffen oft eine eigenwillige Form – mit der sich Mario Botta nicht anfreunden wollte. Er legte großen Wert auf einen einfachen Türgriff in Form eines abgerundeten «L». So wurde für diese Brandschutztüre statt des Flügelprofils das breitere Rahmenprofil verwendet – ein Unterschied, den nur das geschulte Auge bemerkt. Dafür erhält Mario Botta einen schlichten, schönen Türgriff aus mattiertem Edelstahl.

Überhaupt war der Bau bestimmt durch die Transportkapazität der Zahnradbahn, deren Transportwagen Bauteile nur bis zu einer Größe von 4 x 2 m transportieren konnte. Zudem konnten bei Elektroantrieb maximal zwei Tonnen, bei Dieselantrieb immerhin acht Tonnen befördert werden. Das führte dazu, dass viele Bauteile erst vor Ort zusammengebaut werden konnten. Eine Vorfertigung war nur sehr beschränkt möglich. Im Falle der Glasfassaden etwa wurden im Werk die Profile lediglich abgelängt.

Das Gipfelrestaurant auf dem Monte Generoso ist ein typisches Werk aus der Feder eines Architekten, der als Vertreter der «Tessiner Schule» mit streng geometrischen Formen arbeitet und durch das Spiel mit schlichten Formen, Licht und Schatten eine gewisse Leichtigkeit und trotzdem Standhaftigkeit schafft, die vor allem an diesem Ort absolut logisch erscheint – und ein Magnet für viele Bergfreunde ist.

Im Restaurant «Fiore di Pietra» lässt sich in den Blütenblättern sitzend die wunderbare Aussicht beim Essen genießen. (Bild: Enrico Cano / Mario Botta Architetti)
Lageplan (Quelle: Mario Botta Architetti)
Grundrisse Erdgeschoss bis 5. Obergeschoss (vlnr.) (Quelle: Mario Botta Architetti)
Schnitt (Quelle: Mario Botta Architetti)
Das breitere Profil des Öffnungsflügels ermöglichte es, statt des geknickten Brandschutzgriffs mit Daumenbremse einen schlichten Beschlag zu montieren, da das Profil selbst als Daumenbremse fungiert. (Bild: Enrico Cano / Jansen)
Oberhalb der Blütenblätter ist die Brüstung quasi vollverglast, wodurch nicht nur der Blick für den Besucher vergrößert wird, sondern auch mehr Licht in den Innenraum fällt. (Bild: Enrico Cano / Jansen)
Der Eingang im Erdgeschoss ist zurückversetzt und bietet auch wenn das Haus geschlossen ist zumindest einen großzügigen Unterstand. (Bild: Enrico Cano / Jansen)
Skizze der Entwurfsidee von Mario Botta. (Bild: Mario Botta Architetti)
Am Abgrund: Das Gebäude thront sich auf einem kleinen Plateau auf einem mächtigen, rund 300 bis 400 m hohen Felsen. (Bild: Enrico Cano / Jansen)

Projekt
Gipfelrestaurant «Fiore di pietra»
Monte Generoso, CH

Architektur
Mario Botta Architetti
Mendrisio, CH

Bauherr
Ferrovia Monte Generoso SA
Capolago, CH

Hersteller
Jansen AG
Oberriet, CH

Kompetenz
Jansen VISS HI, 50 und 60 mm; Schüco AWS 75.SI+ für Einsatzelemente in der VISS Fassade und Schwingflügel im Mauerwerk; Schüco ADS 75.SI+ für Servicetüren

Bauingenieur
Studio d’Ingegneria Luigi Brenni
Mendrisio, CH

Fachplanung Fassaden, Fenster- und Festverglasungen, Innenabschlüsse und Brandschutz
Didier Grandi SA
Rivera, CH

Realisation Fassaden, Fenster- und Festverglasungen
Regazzi Serramenti e Facciate SA
Gordola, CH

Realisation Innenabschlüsse und Brandschutztüren
Piergiorgio Balzaretti
Novazzano, CH

BGF
2.500 m²

Volumen
9.200 m³

Fertigstellung
2017

Fotografie
Enrico Cano


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