Was die Stadt nach acht macht

Oliver Pohlisch
7. September 2016
Diskokugel (Bild: Sarah from Brizzzzzle, UK via Wikimedia Commons)

Die Stadt schläft nie – jedenfalls nicht die von zahlreichen Marketingstrategen idealisierte 24/7-City. Der Freizeit-, der Kultur- und der Unterhaltungssektor sind längst zu zentralen Motoren der urbanen Ökonomie geworden und gerade sie kennen kein Neun-bis-fünf. Doch dort, wo sich Betriebszeiten bis weit nach Sonnenuntergang oder gar bis zum nächsten Morgengrauen ausdehnen, werden Probleme virulent, die von den für den Tag geschaffenen kommunalpolitischen Instrumenten gar nicht mehr bearbeitet werden können.

Deswegen wird in vielen Städten die Forderung laut, den offiziellen Posten des Nachtbürgermeisters einzurichten. Vorreiter dieser Entwicklung ist Amsterdam, wo seit 2012 der ehemalige Event-Manager Mirik Malin ein solches Amt bekleidet. Seine Hauptaufgabe: bei Konflikten zwischen Nachtschwärmern, den Anwohnern und der lokalen Politik zu vermitteln, dem Rathaus Konzepte zur Weiterentwicklung des kulturellen und gastronomischen Angebots während der dunklen Stunden zu unterbreiten – mit dem Ziel, das Amsterdamer Nachtleben attraktiver zu gestalten und zugleich sicherer zu machen. Und klar, dem liegt natürlich auch der Gedanke der ökonomischen Konkurrenz zu anderen Tourismus-Metropolen wie Berlin oder London zugrunde.

An der Themse macht sich allerdings zunehmend die Sorge breit, die Londoner Party- und Clubszene werde demnächst nur noch ein Schatten ihrer selbst sein; zuviele Lokalitäten mussten in den vergangenen Jahren aufgrund von Mietsteigerungen, Beschwerden über Lärm und Verstößen gegen Rauschmittelverbote oder Baubestimmungen die Türen dichtmachen. Deswegen will es Londons Stadtregierung nun Amsterdam gleichtun und hat die Stelle eines «Night Zsar» ausgeschrieben, der an 2,5 Tagen in der Woche mithelfen soll, den Ruf Londons als Hotspot des Nachtlebens zu retten. Bewerbungsschluss ist der 12. September. Vorstöße in dieser Richtung gibt es auch in Köln und Düsseldorf.

Blick von der Berliner Oberbaumbrücke über die nächtliche Spree. Auf der Kreuzberger Uferseite findet die Konferenz «Nights 2016 - Stadt nach acht» statt (Bild: sebaso, via Wikimedia Commons)

Im April diesen Jahres fand in Amsterdam zum ersten Mal eine Konferenz der Nachtbürgermeister statt, es kamen Mirik Malins Kollegen aus Toulouse, Zürich und Paris. Berlin, immerhin in punkto Night-Life-Economy auf dem Level einer Global City, hat keinen Vertreter mit dieser Amtsbezeichnung dorthin entsandt. Dort existiert aber seit 15 Jahren die sogenannte Clubkommission, ein Netzwerk städtischer Party- und Kulturereignisveranstalter. Und zu ihrem Jubliäum bereitet sie nun unter anderem zusammen mit dem European NewNet die Berliner Tagung Nights 2016 – Stadt nach acht vor. 

Vom 24. bis 26. November werden Experten aus verschiedensten Disziplinen im direkt am Kreuzberger Spreeufer gelegenen Musikclub Watergate zusammenkommen, um über alle möglichen Apekte der urbanen Nacht zu diskutieren: Es geht zum Beispiel um die Schere zwischen der Image-Produktion des Stadtmarketings und einer oftmals unglamouröseren Realität, Lösungswege in der Auseinandersetzung zwischen ruhebedürftigen Bewohnern und Feiernden, eine zeitgemäße Drogenpolitik oder den Schutz der Clubkultur vor einem Übermaß an Kommerz und Festivalisierung. Erkennbar versucht das Konferenzprogramm hier einen Spagat zwischen Profitorientierung und den emanzipatorischen Anteilen des nokturnen Treibens hinzukriegen.

Gerade die an der Konferenz beteiligten Stadtplaner sollten allerdings darauf achten, dass sich die Diskussionen geographisch nicht zu sehr auf die Hipster-Viertel verengen. Wer nach 24 Uhr noch immer nicht pennt, ist nicht automatisch am Feiern oder fühlt sich umgekehrt etwa vom Lärm partywütiger Touristenhorden seiner Bettruhe beraubt. In Deutschland muss laut Statistik inzwischen fast jeder zehnte Beschäftigte zwischen 23 und 6 Uhr schlichtweg schuften. Ein Teil der Jobs findet sich Restaurants, Kneipen und Clubs - und dort zu arbeiten ist aus vielerlei Gründen oft unvergnüglich. Weitaus mehr Menschen reißen aber Nachtschichten im medizinischen Bereich, im öffentlichen Nahverkehr, bei privaten Sicherheitsdiensten oder im Logistikgewerbe runter – nicht selten in der städtischen Peripherie. 

Auch in der Architekturbranche hat bekanntlich die Dichte durchgewachter Nächte signifikant zugenommen, aber nicht allein deswegen sollte das Thema der Konferenz auch Architekten interessieren: Über einzelne Aspekte wie Schallschutz, Beleuchtung oder Sicherheitstechnik hinaus stellt sich insgesamt die Frage, wie Gebäude in der Nacht sowohl für Schlafende, als auch für jene, die in ihnen feiern und vor allem für die, die in ihnen arbeiten müssen, bestmöglichst funktionieren und zugleich ein ästhetischer Gewinn sein können. Diese Frage gilt natürlich auch für die Gestaltung von Außenanlagen und erst recht bei der Planung öffentlicher Plätze. Für eine befriedigende Antwort ist eine eingehendere Beschäftigung mit den sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnissen in der nächtlichen Stadt sicher von Nutzen.   

Sind in der 24/7-Ökonomie aber letztlich nicht die Nachtaktivitäten selbst problematisch, sondern vielmehr die Geringschätzung von Schlaf an sich? Diese Ansicht vertritt jedenfalls Autorin Stephanie Grimm in ihrem im Pantheon-Verlag erschienen Buch Schlaft doch, wie Ihr wollt. Für sie ist der Schlaf eine letzte Freizeitbastion, in der Verwertungsgedanken keine Rolle spielen. Sie fordert auf, ihn sich als lebenserhaltende und beglückende Angelegenheit zurückzuerobern und das kann natürlich auch tagsüber passieren.

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