Umbaupläne für das Berliner RAW-Gelände

Verdichtung im Hotspot des Nachtlebens

Oliver Pohlisch
19. June 2016
Südseite des RAW-Geländes (BIld: Achim Raschka via Wikimedia Commons)

Am vergangenen Mittwoch präsentierte der erst 28-jährige Juniorchef Lauritz Kurth der Bezirksverordnetenversammlung Kreuzberg-Friedrichshain zwei mögliche Varianten für einen Umbau des RAW-Geländes. Dabei machte er gegenüber den Mandatsträgern deutlich: Die soziokulturellen Projekte und die Clubszene auf dem Grundstück sollen erhalten bleiben.

1994 hatte die Deutsche Bahn AG ihre Betriebswerkstätten in dem ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) nahe der Warschauer Brücke aufgegeben. Die Immobilien gingen in der Folge an eine ihrer Töchter, die Vivico Real Estate, die sie 2007 wiederum an das isländisch-deutsche Unternehmen RED veräußerte. Gegenwärtig gehört neben Kurth-Immobilien auch die International Campus AG zu den Eigentümern des RAW-Geländes.

Fragile Subkultur
Schon kurz nach Stilllegung zogen in die alten, notdürftig instand gehaltenen Industriebauten die ersten sozialen und kulturellen Projekte ein, und die Gastronomie sowie die Tanzflächen auf dem Gelände machten es über die Jahre zu einem der Hotspots des Berliner Nachtlebens. Es finden sich dort aber auch Sportangebote wie zum Beispiel eine Skaterhalle.

Doch kontinuierlich drohte den RAW-Nutzern, dass die jeweiligen Eigentümer des Geländes eine umfassende Umgestaltung in Angriff nehmen und damit ihrem subkulturellen Treiben ein Ende bereiten könnten. So hatte im Oktober 2015 die International Campus AG angekündigt, Studentenwohnungen errichten zu wollen, obwohl die Bezirksverordnetenversammlung sich aus Rücksicht auf das dortige Gewerbe und die Clubs bereits 2014 gegen einen Wohnungsbau auf dem Areal ausgesprochen hatte. Und im November 2015 stellte Kurth im Stadtentwicklungsausschuss Friedrichshain-Kreuzberg erste Ideen für die Nutzung des ihm gehörenden Westteils des RAW-Geländes vor. Dieser umfasst gut 50.000 Quadratmeter.

Städtebauliches Entwicklungsszenario 1 (Grafik: Kurth Immobilien GmbH/@Jahn, Mack & Partner mit häfner jiménez betcke Janosch landschaftsarchitektur)

Die erste Variante des nun präzisierten Kurth-Plans sieht mehrere sieben- bis achtgeschossige Neubauten vor, die an der Warschauer Straße und auf einer Betonfläche am östlichen Geländerand errichtet werden könnten. Dabei würden einige der alten Gebäude abgerissen und insbesondere der Astra-Club müsste verlegt werden. Bei Variante zwei wirkt die Bebauung etwas lichter, das Astra könnte an seinem Platz bleiben. An der Warschauer Straße wäre dafür ein 14-geschossiges Hochhaus vorgesehen.

In beiden Fällen wird sich das Gelände grundsätzlich verändern. Mehr als 100.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche sollen neu entstehen, das wären vier- bis fünfmal so viele Bauten wie jetzt dort stehen. Vergnügungsstätten wie der Suicid Circus, Urban Spree und die Bar zum schmutzigen Hobby müssten auf jeden Fall innerhalb des Areals umziehen. Kurth erklärte, die Neubauten seien auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit notwendig.

Städtebauliches Entwicklungsszenario 2 (Grafik: Kurth Immobilien GmbH/@Jahn, Mack & Partner mit häfner jiménez betcke Janosch landschaftsarchitektur)

Die beiden Entwürfe seien, so der Investor, das Ergebnis eines Werkstattverfahrens, das Ende Mai unter Mitwirkung des Stadtplanungsbüros Jahn, Mack & Partner und des unabhängigen Stadtteilbüros Friedrichshain durchgeführt worden sei. An ihm hätten sich auch Vertreter der soziokulturellen Projekte, der Initiative Kulturensemble RAW sowie weitere Aktivisten beteiligt.

Der Architekt und Aktivist Carsten Joost, ein für die Piratenpartei im Stadtentwicklungsauschuss des Bezirks sitzender Bürgerdeputierter, kritisiert, dass das Stadtplanungsbüro in dem Verfahren die Rolle sowohl des Moderators als auch des Urhebers der diskutierten Entwürfe innehatte. Er bemängelt zudem die Dichte der geplanten Bebauung. Joost favorisiert einen moderateren Neubauanteil von 20.000 Quadratmetern, der den Charakter des Areals nicht zerstören und dem Eigentümer trotzdem eine gewisse Profitabilität garantieren würde. Denn gerade die vorhandenen Freiflächen und der marode Charme der Industriehallen würden Publikum anziehen. Eine Verdichtung drohe das Gelände für große Teile seiner jetzigen Besucher unattraktiv zu machen, ist Joost überzeugt.

Den Verteidigern der Patina des RAW-Geländes hielt Kurth laut der Tageszeitung Berliner Morgenpost vor der Bezirksverordnetenversammlung entgegen, dass Gelände würde verwahrlosen, wenn man es so lasse, wie es gerade ist. Alle Strom-, Wasser- oder Sanitärleitungen seien total überaltert, sämtliche Wege bedürften einer Erneuerung. Mehr als eine Million Euro müsse in die Infrastruktur investiert werden.

Kein «cleanes» Gelände
Er wolle aber kein cleanes Gelände, versicherte Kurth, der in den Neubauten überwiegend Büros vorsieht. Jedoch weicht seine Vorstellung von der Nutzermischung kaum von dem ab, was sich heute in den Fußgängerzonen wohlhabenderer Universitätsstädte – also zum Beispiel Göttingen – finden lässt: ein Biomarkt, Fitnesscenter, ein Yogastudio, kleine Designerläden und Handwerker, eine Drogerie sowie im Untergeschoss eines der Neubauten einen Kaiser's-Supermarkt. Dass auf der dem RAW-Gelände gegenüberliegenden Seite der Warschauer Straße ein Shopping-Center mit ähnlichen Angeboten entsteht, sieht Kurth aufgrund des hohen Publikumsdurchlaufs in der Gegend nicht als Problem.

Je nach Umsetzung der Varianten, mit der Kurth drei Architekten beauftragen will, muss Vorhandenes abgerissen werden. Davon nicht betroffen sind die etwa 60 soziokulturellen Projekte in den denkmalgeschützten Gebäuden an der Revaler Straße. «Mehr als 40 neue Mietverträge mit den Projekten haben wir bislang unterschrieben», sagte Kurth. Alle erhielten gleiche Verträge – zunächst für drei Jahre. Werden Miete und Nebenkosten im ersten halben Jahr pünktlich gezahlt, verlängert sich die Laufzeit auf fünf Jahre. Die Kaltmiete liege für diese Nutzer bei 3,85 Euro je Quadratmeter, so Kurth. Clubs wie das Astra haben einen Vertrag bis 2019. Kurth zufolge zahlen sie eine marktübliche Miete.

Noch nicht einig ist man sich mit der Five-O GmbH, zu der außer der Skaterhalle und einem Kletterkegel auch ein Biergarten, der Club Cassiopeia und Büros gehören. Im Herbst soll an einem Runden Tisch über die künftigen Mietkonditionen weiterverhandelt werden. Eine demokratischere Planung der Zukunft des RAW-Geländes fordert nach Angaben von rbb-Online darüberhinaus das Stadtteilbündnis «RAW für den Kiez». Es kritisiert die von der Kurth Immobilien GmbH präsentierten Entwürfe aber auch die Vorgehensweise des Bezirks. Es mangele dem Verfahren insgesamt an «Neutralität, Offenheit und Information», so das Bündnis. Zudem erfülle es nicht die Voraussetzungen einer repräsentativen Beteiligung.

Rotes Sofa in der Nähe vom Urban Spree Garden (Bild: mhx via Wikimedia Commons)

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