Google will «Smart Cities» errichten

Suchmaschinist als Städtebauer

Oliver Pohlisch
29. April 2016
Fahrerloses Google-Auto, demnächst in der «Smart City» unterwegs? Foto, MIchael Shick via Wikimedia Commons

Städte, die wirtschaftlich darben und deren Einwohnerzahl schrumpft, gibt es in den USA so einige. Auf der verzweifelten Suche nach Mitteln zur Umkehr des Niedergangs könnten die für sie verantwortlichen Politiker ganze Viertel an Google oder vielmehr an den Dachkonzern Alphabet abtreten.

Laut einem Bericht des Wall Street Journal möchte nämlich Sidewalk Labs, eine weitere, auf urbane Technologien ausgerichtete Tochter von Alphabet, eine «Smart City» innerhalb einer existierenden Stadt entwickeln und betreiben.

Das Unternehmen, so das Wall-Street-Journal, werde per Ausschreibungsverfahren nach Kommunen suchen, die größere Areale neu entwickeln wollen, eben zum Beispiel solche, die ökonomisch darniederliegen.

Testgebiet für avancierte Technologien
Sidewalk Labs möchte bei deren Wiederaufbau helfen. Nicht nur sollen die als Testgebiet ausgewählten Gegenden mit den avanciertesten Technologien ausgestattet werden, sondern auch Tausende neue Bewohner und Beschäftigte aufnehmen. Sidewalk Labs will dort fahrerlose Autos, Wind- und Solarenergie sowie eine effektivere Versorgungsinfrastruktur erproben. Ziel ist es, in solchen Modellvierteln die Lebenshaltungskosten so stark zu mindern wie möglich, Verkehrsprobleme zu beheben und die Abhängigkeit von fossiler Energie zu mindern.

Sidewalk Labs wurde vom Alphabet-Chef Larry Page im Juni 2015 gegründet. An der Spitze des Unternehmenszweigs steht Daniel L. Doctoroff, einst Vize des konservativen New Yorker Oberbürgermeisters Michael Bloomberg. Im Rathaus der Ostküstenmetropole besaß Doctoroff die Zuständigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung und Stadterneuerung. Als eines seiner prestigeträchtigsten Projekte gilt die Umgestaltung der High Line in Manhattan zu einer Parkanlage.

Der neue Zampano der «smarten» Stadtentwicklung: Daniel L. Doctoroff, Foto: Committee Encouraging Corporate Philantrophy via Wikimedia Commons

Bei einer Rede im Februar in New York erklärte Doctoroff, bisherige Versuche, Tech-Konzerne und Stadtentwicklungsbehörden zusammenzubringen, seien daran gescheitert, dass diese einander schlicht nicht richtig zugehört und sich nicht verstanden hätten. Selbstbewusst pries er dabei Googles technologisches Knowhow und seine eigene Kompetenz in Sachen Erhöhung der urbanen Lebensqualität als einzigartige Kombination an, die diese Nuss zu knacken imstande sei.

Darüber, wie das von Sidewalk Labs angestrebte Vorhaben unter dem Codenamen «Sidewalk Project» finanziert werden soll, trifft das Wall Street Journal keine Aussagen. In den nächsten Wochen will Doctoroff sich für seine sicherlich milliardenschwere Unternehmung von Larry Page grünes Licht geben lassen, um dann mit dem Ausschreibungsverfahren zu beginnen.

Nun ist es so, dass Tech-Konzerne wie General Electric, Alstom oder Siemens schon längst «smarte» Infrastrukturlösungen an lokalstaatliche Abnehmer verkaufen. Die Firmen der New Economy aber formulieren mit ihrem Vorspreschen ins Territorium der Stadtentwicklung einen Hoheitsanspruch, der in letzter Instanz die Politik selbst überflüssig zu machen droht. 2013 träumte Larry Page von einer «Google-Insel», die das Unternehmen frei von jeder externen Intervention als experimentelle Spielwiese nutzen könne. Und die jüngsten Pläne für die Konzernzentralen-Campusse von Facebook und Google in Kalifornien ähneln autarken Gemeinden. Sie gemahnen an Celebration in Florida, jener berühmt-berüchtigten, durchregulierten Planstadt, die 1994 vom Walt Disney Konzern gebaut wurde. Nur dass Google und Facebook die eigenen Vorstellungen von einer reibungslos funktionierenden Kommune eben etwas «intelligenter» durchsetzen wollen.

Celebration in Florida - Die Sidewalk-Labs-Stadt wird bestimmt «smarter». Foto: Bobak Ha'Eri via Wikimedia Commons

Mit welchen Gadgets ein zukünftiges Google-Stadtquartier ausstaffiert sein könnte, lässt ein erster Blick nach New York erahnen, wo sich derzeit das Sidewalk-Labs-Projekt «LinkNYC» in der Testphase befindet. Es wandelt klassische Telefonzellen in WLAN-Knotenpunkte um, die schnelles, kostenloses Internet anbieten. Über sie soll der Verbraucher kostenlos telefonieren, Notrufe absetzen und über das integrierte Android-Tablet Informationen über die Stadt einsehen können.

Das Unternehmen hat auch kürzlich seine Plattform «Flow» vorgestellt. Eine anonyme Datenerhebung soll diese dazu befähigen, den Verkehrsfluss einer Stadt in Echtzeit zu steuern. Durch Umleitungen soll sie Flaschenhälse vermeiden helfen, sie soll Parkplätze zuweisen oder geplante Straßen simulieren, um deren Effekte schon vorab zu vermitteln. Für die Weitentwicklung von «Flow» arbeitet Sidewalk Labs mit Entwicklern von Mobilität-Apps, Infrastruktur- und Transportbetreibern sowie Anbietern von Sensoren zusammen.

Es ist davon auszugehen, dass diese beiden Projekte auch in einem komplett von Sidewalk Labs umstrukturierten Stadtquartier zur Anwendung kommen werden. Zur räumlichen Bündelung und Verdichtung «smarter» Technologien wird das Unternehmen von den interessierten Kommunen jedoch mit Sicherheit fordern, dass sie ihre Parkraumbewirtschaftung, Ressourcenversorgung und Stadtgestaltungsauflagen deregulieren, also letztlich Kontrollbefugnisse abtreten. Manche Lokalverwaltungen mögen vor dieser partiellen Selbstaufgabe zurückschrecken, andere aber dürften schwach werden, wenn massive private Investitionen und die Neugeburt der eigenen Stadt als digitales Epizentrum winken.

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