Zoff zwischen Londons Tate Modern und ihren Nachbarn

Schöner Wohnen als Museumsattraktion

Oliver Pohlisch
12. September 2016
Da ahnte noch keiner etwas - Neo Bankside während der Bauphase im Jahr 2010, (Bild: Jim Linwood via Wikimedia Commons)

Längst ist bekannt, dass es Wohnraum in Londons Zentrum nur noch für astronomische Summen zu kaufen oder mieten gibt. Die unzähligen neuen Apartmenthochhäuser, die insbesondere entlang der innerstädtischen Themseufer entstehen oder schon fertiggestellt worden sind, dienen keinesfalls der Linderung der strukturellen Wohnungsknappheit in der britischen Metropole, sondern sind reine Spekulationsobjekte, von denen zudem angenommen werden kann, dass sie die meiste Zeit des Jahres über größtenteils unbewohnt sind.

Umso größer die Überraschung, wenn sich doch einmal Leben in diesen Objekten regt - in Form von Beschwerden, dass man hinter den eigenen Glaswänden, die eine grandiose Aussicht auf die städtische Kulisse ermöglichen, selbst ungewollten Blicken ausgesetzt sei. Geäußert haben dies die Bewohner der von Rogers Stirk Harbour entworfenen Neo Bankside Apartments am südlichen Themseufer in unmittelbarer Nähe der Tate Modern - Londons Antwort auf das Pariser Centre Pompidou.

Seit Juni ist das von Herzog & de Meuron entworfene Switch House, die 64,5 Meter hohe Erweiterung der Tate Modern für die Öffentlichkeit zugänglich. Die besondere Attraktion des Gebäudes: Eine frei zugängliche Terrasse auf dem Dach, die eine 360-Grad-Aussicht auf die Umgebung bietet. Und damit auch in die Privatgemächer der Neo-Bankside-Bewohner, die jetzt sogar mit juristischen Schritten gedroht haben, sollten Museumsbesucher weiterhin Zoomobjektive und Ferngläser auf ihre Wohnungen richten können. Zuvor war der Versuch einer informellen Einigung zwischen Native Land, der Bauherrin des Neo Bankside Komplexes, und der Tate Modern gescheitert.

Die Lokalpolitikerin Adele Morris, ursprünglich in den Versuch der Konfliktlösung involviert, bezeichnet die jetzige Lage als «knifflig». Gegenüber der Architekturplattform Dezeen sagte sie, «Niemand hatte vorausgesehen, dass Leute sich im wahrsten Sinne über die Balkonbrüstung hängen und Fotos von den Wohnungen machen würden, um sie dann im Internet zu posten.»

Wer diese Aussicht genießt, hat Glück gehabt, Wintergarten in einem Neo Bankside Appartement, (Bild: Matt Brown via Wikimedia Commons)

In der Mail on Sunday, schildert ein Bewohner dies als «furchtbar aufdringlich». Er habe sein Apartment aufgrund der Aussicht erworben, «nun muss ich, immer wenn die Plattform offen ist, meine Jalousien geschlossen halten, ansonsten winken einem die Leute zu». Nie hätte er eine solche Wohnung gekauft, wenn er gewusst hätte, was auf ihn zukommen würde. «Ich denke, ich würde nun Schwierigkeiten haben, sie loszuwerden.»

Diskutiert wurde, zur Linderung des Problems einseitig durchsichtige Digitaldruckfolien auf die Glasfenster der Apartments zu kleben, Pflanzkübel vor die Brüstung der Switch-House-Plattform zu stellen oder Teile der Aussichtsterrasse schließlich ganz zu schließen. Die einzige Maßnahme, die bisher tatsächlich durchgeführt wurde, ist das Anbringen eines Schildes, dass die Besucher der Tate dazu auffordert, mehr Rücksicht gegenüber den Nachbarn auf dem Präsentierteller zu nehmen.

Morris bekräftigt, hinsichtlich der Planung habe sich niemand etwas zu Schulden kommen lassen. Rogers Stirk Harbour + Partners erhielten die Baugenehmigung für Neo Bankside im Jahr 2007. Die ersten sechs Türme des Komplexes wurden 2013 fertiggestellt, mit Wohnungen, die für bis zu 19 Millionen Pfund über den Tisch gegangen sein sollen.

Das Projekt geriet im vergangenen Jahr unter Beschuss, als herauskam, dass es die mit der Stadt ausgehandelte Quote für die Bereitstellung von «erschwinglichem Wohnraum» nicht erfüllte. Statt der vorgesehenen 40 Prozent betrug der Anteil nur 27,5 Prozent. Guardian-Kritiker Oliver Wainwright nannte Neo Bankside deshalb ein «gefährliches Vorbild» für ähnliche, noch im Entstehen begriffene Immobilienprojekte.

Die Tate Modern bekam die Baugenehmigung für das Switch House zwei Jahre später. In einer Stellungnahme erklärte das Museums, «seit 2006 die ersten Pläne ausgestellt worden waren, haben wir den Dialog mit lokalen Bewohnern aufrechterhalten». Zu keiner Zeit während der Realisierung des Switch House seien irgendwelche Bedenken hinsichtlich der Aussichtsplattform geäußert worden.

Switch House, der Erweiterungsbau der Tate Modern, (Bild. Jim Linwood via Wikimedia Commons)

Eins ist jedenfalls klar: Je vernehmlicher die Bewohner der Neo Bankside ihr Schicksal beklagen, desto voller wird die Terrasse auf dem Erweiterungsbau der Tate Modern. Mindestens so spannend wie die Ansicht eines Gemäldes von Francis Bacon oder Lucian Freud ist doch für den gemeinen Museumsbesucher, jene, die mithelfen, London für die Mehrheit seiner Einwohner unerschwinglich zu machen, mal beim Steine schmeißen zu erwischen. Wer im Glashaus sitzt ...
 

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