Mauer in Rosarot

Oliver Pohlisch
14. November 2016
Grenzmauerentwurf von Estudio 3.14 (Rendering: Agustín I Ávalos, Estudio 3.14)

Es ist passiert: Die USA bekommt einen ins Politikfach gewechselten Immobilien-Tycoon als Präsidenten. Einen Narzissten, der im Wahlkampf pausenlos frauenfeindliche und homophobe Sprüche absonderte, der Muslimen am liebsten die Einreise in die USA verweigern möchte und Mexikaner generell für «bad hombres» hält. Trump gab in seiner Kampagne vor allem den rassistischen Einstellungen unter weißen Nordamerikanern Zucker. Als Gegenleistung für das Kreuz unter seinem Namen versprach er ihnen, 11 Millionen Mexikaner ohne Aufenthaltserlaubnis abzuschieben und die Grenze nach Süden endgültig dichtzumachen.

Welche außen- und sicherheitspolitischen Schritte Trump als Bewohner des Weißen Hauses in den nächsten vier Jahren unternehmen wird, bleibt nach wie vor rätselhaft. Doch wenigstens ein Projekt machte er schon während des Wahlkampfs konkreter: den Bau einer Mauer entlang der südlichen Staatsgrenze zur Abwehr unerlaubter Grenzübertritte. Trump zeichnete sie seinen Anhängern als «undurchdringlich, hoch, mächtig und schön» und hatte großspurig angekündigt, schon am ersten Tag seiner Präsidentschaft mit den Bauarbeiten anfangen zu wollen.

Man könnte Trumps Idee als reine Symbolpolitik abtun, denn schon jetzt gehört die 3.145 Kilometer lange Trennlinie zwischen den USA und Mexiko zu einer der am schärfsten überwachten Grenzen der Welt. Wer sie dennoch überwindet, ist eine willkommene, billige Arbeitskraft, die auch die Parteigänger der Republikaner gerne in den eigenen Unternehmen oder Privathaushalten ausbeuten. Deshalb ist fraglich, ob Trump für den Bau seiner Mauer überhaupt eine Mehrheit im Kongress bekäme. Zudem wäre das Projekt eine äußerst kostspielige Angelegenheit. Kate Drew vom privaten Wirtschaftsnachrichtensenders CNBN schätzt die Ausgaben, die die US-Regierung dafür aufbringen müsste, auf 15 bis 25 Milliarden Dollar. Die Instandhaltung und die Einstellung von 21.000 Grenzschützern würden jährlich 2,1 Milliarden Dollar kosten, so eine Analyse des Magazins Politico.

Der US-amerikanische und der mexikanische Teil der Doppelstadt Nogales sind schon jetzt durch eine Betonmauer mit Stahlgittern voneinander getrennt. (Bild: Sgt. 1st Class Gordon Hyde via wikimedia commons)

Zahlen solle die ganze Angelegenheit deshalb bitte schön der mexikanische Staat, krakeelte Trump auf seinen Wahlkampfveranstaltungen. Wenig überraschend wies Mexikos Präsident Enrique Pena Nieto diese Forderung als absurd zurück. Aber würde der südliche Nachbar tatsächlich für die Mauer zur Kasse gebeten werden, so wäre es doch nur recht und billig, zumindest auch eine mexikanische Firma mit der Planung und Durchführung dieses Projekts zu beauftragen. Dachte sich das Architekturbüro Estudio 3.14 - wohl in der sicheren Annahme, dass das US-amerikanische Wahlvolk am 8. November den Kandidaten Trump schon wieder zurück an den Schreibtisch seines sinistren Firmenimperiums schicken würde – und griff dessen Idee auf, wie die Online-Platform dezeen berichtete.

Eine Gruppe von sieben PraktikantInnen des Estudio 3.14 entwarf unter der Leitung von Kreativ-Direktor Leonardo Díaz Bariolo und Hassanaly Ladha vom experimentellen Design-Labor der US-amerikanischen Mamertine Group auf der Grundlage der von CNBC genannten Zahlen ein konzeptuelles Design - im Geiste der Architektur von Luis Barragán, einen der großen mexikanischen Architekten des 20. Jahrhunderts.

Barrágon, der 1980 den Pritzker-Preis gewann und 1988 im Alter von 86 Jahren starb, war dafür bekannt, minimalistische, moderne Gebäudedesigns mit überraschend kräftigen Farbanstrichen zu kombinieren. «Weil die Mauer schön aussehen soll, haben wir uns von Luis Barragáns rosafarbenen Fassaden inspirieren lassen, die emblematisch für Mexiko sind,» so Estudio 3.14.

Raum im ehemaligen Studio und Wohnhaus von Luis Barragán in Mexico-Ciudad. (Bild: Forgemind ArchiMedia via wikimedia commons)

Doch das in Barrágons Geburtsstadt Guadalajara beheimatete Estudio 3.14 sieht die Grenzmauer natürlich nicht nur durch die rosarote Brille. Bildmaterial zeigt, wie die Mauer die Wüste, einen Fluss und die Grenzstadt Tijuana durchquert, aber auch einen Knast beherbergt.«Es ist ein Gefängnis, in dem 11 Millionen Menschen ohne gültige Papiere abgefertigt, klassifiziert und deportiert werden», erklärt das Architekturbüro.

Das Team von Estudio 3.14 schätzt, dass diese Mauer bis zu 6 Millionen Menschen Beschäftigung bringen könnte. Fast schon zynisch ist sein Vorschlag, die Mauer auch zu einem Standort für ein Shopping Center zu machen. Und eine Aussichtsplattform einzurichten, von dem aus Touristen den Blick auf all die Menschen werfen können, die vergeblich versuchen, über die Mauer in Richtung USA zu gelangen. Eine Serie weiterer Grafiken begleiten den Vorschlag von Estudio 3.14, darunter ein Poster, auf denen nach Arbeitern für den Mauerbau gesucht wird, und ein Dollarschein, auf dem die rosafarbene Spur der Mauer geprägt ist.

Die Renderings des Eustudio 3.14 sollten vor allem die Undurchführbarkeit des Vorhabens demonstrieren, erklärte Designer Noberto Miranda dem Online-Magazin Business Insider. Die Topographie des Grenzgebiets mache entsprechende Bauarbeiten schwer. Zudem würde sich eine tatsächliche Durchführung des Projekts äußerst negativ auf die US-amerikanisch-mexikanischen Beziehungen auswirken. Das Architekturbüro erklärte, das Prison-Wall-Projekt verweise auf «die Tradition des größenwahnsinnigen Mauerbaus in der Architektur» und erlaube der Öffentlichkeit, «sich diesen Politikvorschlag in all seiner herrlichen Perversität vorzustellen».

Doch nun wird Trump an den Schalthebeln sitzen und Mexiko wohl das erste Land sein, was den Wechsel in Washington deutlich zu spüren bekommt. Am Tag nach der Wahl fiel der Kurs des Peso gegenüber dem Dollar um 8 Prozent. Der Nafta-Freihandelsvertrag könnte demnächst annulliert werden, die Aussicht auf Massenabschiebungen aus den USA lässt südlich von Tijuana die Angst vor noch stärkeren sozialen Verwerfungen innerhalb von Mexikos Gesellschaft wachsen und Trumps Idee, die Überweisungen mexikanischer Arbeitskräfte in die Heimat zu blockieren oder zu besteuern, um damit seine Mauer zu finanzieren, hätte vor allem in Regionen, die ökonomisch von diesen Transfers aus den USA abhängig sind, fatale Folgen.

Nach Trumps Wahlsieg hatte das American Institute of Architects, so etwas wie die Interessenvertretung der Architekten in den Vereinigten Staaten, erklärt, mit dem neuen Präsidenten zusammenarbeiten zu wollen, um die Infrastruktur des Landes zu verbessern. Das sorgte sogleich für harsche Kritik innerhalb der Architekturszene. Insbesondere das Magazin ArchitectsNewspaper warnte davor, dass das von Trump angekündigte, nicht näher ausgeführte Investitionsprogramm eben auch den Bau der Mauer, die Errichtung von Abschiebezentren und insgesamt eine weitere Militarisierung öffentlicher Einrichtungen anschieben könnte. Die Herausgeber nennen es unverantwortlich, die mögliche Rolle des eigenen Berufsstands bei einer Institutionalisierung und Verfestigung der Ungleichheiten, die der rassistischen und patriarchalen Ideologie Trumps innewohnen, einfach so zu ignorieren.

Auch in Deutschland ist zumindest einer davon überzeugt, dass die «herrliche Perversität» zu einem guten Geschäft für ihn werden könnte. Bernd Schleifele, der Chef des Dax-Konzerns HeidelbergCement erklärte öffentlich, dass er mittelfristig «positiv gestimmt» sei. Die Vereinigten Staaten würden unter dem Immobilientycoon mehr in die nationale Infrastruktur investieren. Und bei einer Mexiko-Mauer «wären wir in Texas und Arizona nicht schlecht bedient», schließlich habe man dort eigene Zementwerke. Eine wirklich adäquate Auslassung an einem 9. November. Mauern bauen: Das soll scheinbar eine Kernkompetenz der Deutschen bleiben.

Grenzmauerentwurf von Estudio 3.14 – mit Aussichtsplattform (Rendering: Agustín I Ávalos, Estudio 3.14)

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