Ausstellungsprojekt von Maria Eichhorn in London

Künstlerin schickt Galerie in den Urlaub

Oliver Pohlisch
6. May 2016
Chisenhale Gallery, Foto: Oliver Pohlisch

Zu Ausstellungsbeginn, nach einem Symposium in den Galerieräumen, hatte die Künstlerin die Türen und Fenster der Einrichtung zusperren und ein Schild vor dem Gebäude anbringen lassen. Es klärt potenzielle Besucher über Eichhorns Projekt auf und bittet, zur weiteren Information die Webseite der Chisenhale Gallery aufzusuchen.

Das Budget der Ausstellung «5 Weeks, 25 Days, 175 Hours» ermöglicht der Galeriebelegschaft inklusive ihrer Chefin Polly Staple, bis 29 Mai der Arbeit fernbleiben zu können. Telefonanrufe werden nicht beantwortet, eingehende E-Mails gelöscht, außer jene, die an einen Extra-Account gehen, der nur einmal die Woche kontrolliert wird.

Die Künstlerin erklärte im Vorfeld, dass sie die Beschäftigten lediglich angewiesen hat, nichts für die Galerie zu tun. «Die Institution selbst und die aktuelle Ausstellung sind gar nicht geschlossen, eher werden sie in die öffentliche Sphäre verlagert», so Eichhorn gegenüber der Tageszeitung The Guardian. «Und wenn die Mitarbeiter zurückkommen, werden Gott sei Dank keine Berge von E-Mails abzuarbeiten sein.» Was die Galeristen jedoch zwischenzeitlich treiben, ist ihre Privatsache.

Maria Eichhorn hat auch vereinbaren können, dass die Chisenhale Gallery während ihrer «Ausstellung» für keine anderen Zwecke genutzt werden darf – weder für kommerzielle noch für karitative.

Geste mit gewisser Tradition
Eichhorn, die in Berlin lebt, ist inzwischen bekannt für ihre Kunst, die weniger aus materiellen Artefakten, aber umso mehr aus sozialen Prozessen infolge eingehender Recherche besteht. 2011 nutzte sie ihr Budget für eine Schau in der Kunsthalle Bern, um nötige Renovierungsarbeiten am Gebäude zu finanzieren. Auch hier blieben die Ausstellungsräume selbst vollkommen leer.

Die Geste der dichtgemachten Galerie ist nicht neu: 1968 blockierte Daniel Buren die Tür zu seiner Solopräsentation in der Mailänder Galleria Apollinaire. 1969 hinterließ der Konzeptkünstler Robert Barry ein Schild an der Tür der Amsterdamer Galerie Art+Project, die den Besuchern mitteilte, dass die Galerie für die Dauer seiner Ausstellung geschlossen bleibe. Maria Eichhorn geht es aber nicht darum, das Publikum mit seinen üblichen Erwartungshaltungen vor den Kopf zu stoßen, sondern hinter dem versperrten Eingang die sozioökonomischen Bedingungen des Galeriebetriebs offenzulegen.

Beim Nicht-Aufbau von Maria Eichhorns Ausstellung, Foto: Chisenhale Gallery

Bevor Maria Eichhorn die Galerie-Mitarbeiter nach Hause schickte, hat sie mit ihnen Interviews über die Freuden und Frustrationen im Job geführt. Man findet diese zusammen mit dem Mitschnitt des Eröffnungssymposiums auf der Galerie-Webseite. In Eichhorns Werk steckt die Absicht, der Belegschaft eine Pause zu gönnen – in einer Gegenwart, in der besonders auf dem Feld einer prekären Kulturproduktion unter neoliberalen Vorzeichen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit vollständig aufgehoben sind.

Die Schließung der Galerie ist durchaus eine heikle Sache, sie kann die fragile Beziehung zwischen der nominell öffentlichen Institution mit dem Publikum, Treuhändern und Mäzenen weiter erschweren. Obwohl in einer staatlichen Einrichtung arbeitend, verbringt Staple, wie sie Eichhorn offenbarte, 75 Prozent ihrer Zeit mit Fundraising. Ein Resultat der massiven Kürzung von Finanzmitteln für die Kulturförderung durch eine britische Regierung, die sich allein dem Austeritätsprinzip verpflichtet fühlt.

Freizeit, finanziert vom Steuerzahler
Ein Kritiker des konservativen Magazins The Spectator bemerkt in seinem Artikel über die Ausstellung spitzfindig, dass die fünf Wochen Auszeit für die Galeriemitarbeiter dennoch vom nun aus der Chasenhale Gallery ausgesperrten Steuerzahler finanziert würden, denn die Galerie erhält immerhin noch rund 165.000 Pfund jährlich vom Arts Council England. Davon wird die Hälfte der Löhne bestritten und Rücklagen für Gemeinkosten gebildet.

Zudem lässt der Kritiker nicht unerwähnt, dass die Einrichtung sich im Londoner Bezirk Tower Hamlets befindet, einer der ärmsten Verwaltungseinheiten Großbritanniens. Im Subtext den dort lebenden, oftmals migrantischen Geringverdienern einen Mangel an intellektuellem Vermögen unterstellend, kritisiert er Eichhorn und die Galerie, mit dem Projekt der Schließung und dem Diskurs drumherum, an der Einwohnerschaft der Gegend vorbeizuarbeiten.

Das tun allerdings die Beschäftigten in den Finanzfirmen der ebenfalls in Tower Hamlets liegenden Canary Wharf mit ihren globalen Geschäften auch. Einer von ihnen, Shane Akeroyd, ein Manager von Markit, einer Firma, die Handel mit spekulativen Papieren betreibt, ist Treuhänder der Chisenhale Gallery, hat also Eichhorns Ausstellung ebenfalls bezuschusst. Was, so der Kritiker, beim Eröffnungssymposium, wohlweislich unerwähnt geblieben sei.

Eichhorn muss diese Kritik nicht anfechten, im Gegenteil: Sie ist Teil dessen, was die Künstlerin mit ihrer Arbeit ja tatsächlich bezwecken wollte. Die Ausstellung hat sich in die öffentliche Sphäre verlagert, der Kontext, in dem Kunst präsentiert wird, erfährt seine Infragestellung.

Ausstellung: Maria Eichhorn, «5 Weeks, 25 Days, 175 Hours», vom 23. April bis 29. Mai 2016. Chisenhale Gallery, 64 Chisenhale Road, London E3 5QZ. http://www.chisenhale.org.uk/

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