Immer mehr arme Berliner leben in Großsiedlungen am Stadtrand

Endstation Großsiedlung

Carsten Sauerbrei
12. April 2016
Luftaufnahme des Uckermärkischen Viertels in Neu-Hohenschönhausen, einem der sozial schwächsten Stadtteile Berlins. (Bild: Stephan Karl / CC BY-SA 3.0)

Gentrifizierung = Aufwertung, dies ist das sicher meist gebrauchte Wort in der Berliner Debatte um die Verdrängung Einkommensschwacher aus der Innenstadt. Je nach Perspektive fällt die Bewertung dieses Prozesses unterschiedlich aus. Die Berliner Verwaltung verfolgt das Ziel, Problemkieze aufzuwerten. Die dort Wohnenden fürchten steigende Mieten. Dokumentiert wird die soziale Lage in den Berliner Stadtteilen seit zwanzig Jahren mit dem «Monitoring Soziale Stadtentwicklung», dessen Ergebnisse für die Jahre 2013/2014 nunmehr vorliegen. 

Mit dem Monitoring sollen, laut Berliner Senat, die Stadtteile Berlins identifiziert werden, die vom sozialen Abstieg bedroht sind. Anhand der vier Indikatoren - Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Transferbezug und Kinderarmut – wird dazu ein hoher, mittlerer, niedriger oder sehr niedriger sozialer Status für insgesamt 435 Berliner Planungsräume ermittelt. Zusätzlich erhält jeder Planungsraum einen zweiten Dynamik-Index, der die Tendenz der Veränderung beschreibt - positiv, stabil oder negativ. Durch die Kombination beider Indizes ergibt sich ein Berliner «Gesamtindex Soziale Ungleichheit» in 12 Ausprägungen, in den jeder Planungsraum eingeordnet wird.

Armut in Berlin geht insgesamt zurück
Positiv bewertet der Berliner Senat, dass sich der soziale Status der Berliner insgesamt verbessert hat, vor allem weil seit 2006 die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt. Allerdings, so heißt im Bericht auch, setzten sich «bestehende räumliche Disparitäten» weiter fort, das heißt, Stadtteile mit überwiegend armen Bewohnern stehen weiterhin anderen mit sehr hohem sozialen Status gegenüber. Insgesamt zehn Prozent der Berliner Planungsräume gelten als "Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf", die einen sehr niedrigen sozialen Status oder einen niedrigen Status in Kombination mit negativer Tendenz aufweisen. Positiv vermeldet der Bericht, dass es gegenüber dem letzten Monitoring aus dem Jahre 2013 einen Rückgang dieser Gebiete von 51 auf 43 Planungsräume gab. Ob dies allerdings den Berliner Förderprogrammen der sozialen Stadtentwicklung wie dem Quartiersmanagement oder den «Aktionsräumen plus» zu verdanken ist oder der allgemein positiven wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre bleibt unklar.

Großsiedlungen der Nachkriegszeit sind Problemviertel
Klar ablesbar ist jedoch eine andere Tendenz: Die Stadtteile mit dem niedrigsten sozialen Status und zusätzlicher negativer Dynamik liegen alle in Großsiedlungen der Nachkriegszeit und alle, bis auf einen am Berliner Stadtrand. Das vorliegende Monitoring ist daher auch ein Zeugnis für die anhaltende Beliebtheit des traditionellen Städtebaus mit überwiegender Blockrandbebauung und der negativen Bewertung des spätmodernen Städtebaus in den Siedlungen, die nach dem 2. Weltkrieg entstanden. Nur mit Sozialarbeit, die städtebauliche Defizite nicht berücksichtigt, wird dieser, über die letzten Jahrzehnte verfestigter Status Quo kaum zu verändern sein. Helfen könnten die 30 Millionen Euro, die Berlin in den kommenden Jahren im Rahmen des Förderprogramms «Experimenteller Geschosswohnungsbau» in neun Bauvorhaben der kommunalen Wohnungsgesellschaften investieren wird. Dumm nur, dass keines der Vorhaben in den abstiegsgefährdeten Quartieren am Stadtrand geplant ist, sondern ausschließlich in der Innenstadt, dort wo ohnehin schon der größte Aufwertungsdruck herrscht.

Einteilung der Berliner Planungsräume anhand von sozialem Status und Tendenz der Entwicklung. (Bild: SenStadtUm Berlin/Bearbeitung Carsten Sauerbrei)
IBA-Bebauung an der Admiralstraße in Berlin-Kreuzberg, Stadtteil mit hohem Gentrifizierungsdruck (Bild:Fridolin freudenfett / CC BY-SA 4.0)

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