Genossenschaftliches Gewerbeprojekt in Weimar

Eine Zukunft fürs VEB-Wägetechnik-Areal

Oliver Pohlisch
11. October 2016
Wägetechnik-Areal mit Produktionshalle (r.) und Heizhaus (l.) (Bild: Andreas Bauermeister)

Geplant ist, dass lokale Handwerker, Künstler, Kulturschaffende und soziale Träger das brachliegende Areal zusammen erwerben, die darauf stehenden Gebäude modernisieren und anschließend an sich selbst vermieten. Angestoßen wurde das Vorhaben von Wohnprojektor, einer Agentur für gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten, die sich in der Kreativ-Etage in Weimar gegründet hat und in der Vergangenheit schon Erfahrung mit der Entwicklung des genossenschaftlichen Wohnprojekts Ro70 e.G. sammeln konnte.

Wohnprojektor schätzt die Gesamtkosten für Kauf, Umbau und Baunebenkosten im Fall der Wägetechnik-Liegenschaft auf rund 2,45 Millionen Euro. Die ungefähr 30 Prozent Eigenkapital sollen durch genossenschaftliche Pflichtanteile zusammengetragen werden. Deren Höhe könnte zwischen 160 und maximal 300 Euro pro Quadratmeter variieren, hängt aber auch davon ab, inwieweit es gelingt, zusätzlich freiwillige Förderer für das Projekt zu finden.

Ziel der Genossenschaft soll es sein, bedarfsgerechte Räume zu fairen Mieten auch für zukünftige Generationen zu schaffen; an einem Ort, an dem niemand der Gefahr ausgesetzt ist, aus Renditegründen gekündigt zu werden. Damit der Grund und Boden in der Milchhofstraße am westlichen Stadtrand von Weimar dauerhaft dem Spekulationskreislauf entzogen wird, soll es in die Hände der Stiftung trias gelangen, die das Erbbaurecht dann an die Genossenschaft weitergeben wird.

In der Produktionshalle des Wägetechnik-Areals (Bild: Andreas Bauermeister)

Ziel: eine kleinteilige Projektstruktur

Das Gelände hat eine Größe von 12'800 Quadratmetern, auf ihm befinden sich ein Pförtnerhaus und vier Industriehallen aus den 1960er Jahren. Die größte dieser Hallen besitzt eine Nutzfläche von 1'080 Quadratmetern. Die Gebäude können in mehr als 30 kleine Gewerbeeinheiten zwischen 20 und 200 Quadratmetern aufgeteilt werden. Die teilsanierten Werkstätten und Ateliers sollen entsprechend ihres Ausbaus, der in zwei Stufen erfolgen kann, später für 3,80 bis 4,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zu haben sein. Um eine möglichst kleinteilige Projektstruktur zu fördern, ist eine Begrenzung auf entweder maximal 200 Quadratmeter oder zwei Module pro Nutzer vorgesehen.

Auch die Wiesen und Freiflächen sollen genutzt werden. Auf ihnen könnte ein Gemeinschaftsgarten, ein Sommerkino, eine Skateranlage oder ein Bauspielplatz entstehen. Das derzeit einzige genutzte Wägetechnik-Gebäude ist die ehemalige Härterei. In ihm befindet sich ein Reifenservice, der laut Wohnprojektor auch weiterhin auf dem Areal bleiben soll. 

Im Sommer begann Wohnprojektor mit regelmäßigen öffentlichen Führungen durch die Hallen der ehemaligen VEB Wägetechnik. Seit September treffen sich die ersten aktiv an einer Nutzung Interessierten zu wöchentlichen Planungsgesprächen, um Ideen zu sammeln. Die Genossenschaftsgründung ist für den 3. November terminiert.

Sollten bis Juni 2017 circa 80 Prozent der Gewerbeeinheiten belegt, das Eigenkapital beschafft und der Kredit seitens der Bank zugesagt worden sein, muss das Grundstück zum festgelegten Preis an die Genossenschaft verkauft werden – so steht es in dem für ein Jahr gültigen Anhandgabevertrag, den Wohnprojektor mit dem jetzigen, privaten Eigentümer geschlossen hat.

Danach können die ersten Baumaßnahmen beginnen: Die Dächer der Hallen müssen neu gedämmt und die Heizungstechnik muss erneuert werden. Zwischenwände sollen eingezogen, neue Türen und Fenster eingebaut und, je nach Bedarf, einzelne Module mit Zwischendecken versehen werden.

Eingang zum Wägetechnik-Areal, links das Pförtnerhaus (Bild: Sebastian Kirschner)

In Weimar ist zentrumsnaher Gewerberaum knapp

Laut dem regionalen Newsportal Jenapolis.de zählen zu den gründungswilligen Interessenten bisher zum Beispiel Spielzeugdesigner, Gärtner, bildende Künstler, eine Apothekerin, ein Stadtplaner und eine Modedesignerin. Bisher stoßen Nutzungseinheiten um die 60 Quadratmeter, die zu einfachen Werkstätten ausgebaut werden sollen, auf den größten Zuspruch. Der Grund dafür ist sicherlich, das auch in Weimar, das zu den am stärksten prosperierenden Kommunen Ostdeutschlands gehört und dessen Innenstadt weitgehend durchsaniert ist, preiswerter und flexibel nutzbarer Gewerberaum in zentraler Lage mittlerweile rar geworden ist.

Während der ersten Planungsgespräche entstand die Idee, in der ehemaligen Pförtnerhaus eine Kantine einziehen zu lassen, die die ansässigen Künstler, Gewerbetreibenden und Gäste versogen soll.  Die dahinterliegende, 200 Quadratmeter große Eichhalle könnte gegebenenfalls zum Mehrzweckraum, in dem Sportkurse, Seminare oder kulturelle Veranstaltungen stattfinden, umgebaut werden. Weitere Anregungen wollen sich Wohnprojektor und die potenziellen Genossenschaftler nicht zuletzt auch in der Weimarer Schlachthofstraße holen. Dort, in  den Warenhallen des ehemaligen Güterbahnhofs der Stadt, existiert schon seit 2011 ein kleiner Gewerbehof für örtliche Handwerker und Kleinunternehmer – inklusive Hühnerstall, Gemüsegarten, Bar und Pool.

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