Wiener Architektenkammer versus Umweltstadträtin

Die Posse ums «Müllcontainer»-Haus

Oliver Pohlisch
18. October 2016
Stein des Anstoßes: Das Interview mit Ulli Sima im Falter. (Bild: NKP/Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten/Falter)

«Wir haben das Projekt dann halt einfach nicht umgesetzt.» Mit diesen recht lapidaren Worten offenbarte die Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) Ende September in einem Interview mit dem Stadtmagazin Falter, welche Konsequenz sie aus einem Architekturwettbewerb gezogen hatte, dessen Ergebnis ihr missfiel. Nach einem Wettbewerb, setzte die Politikerin noch nach, «haben wir möglicherweise eine Jury, die einen Entwurf präferiert, den wir gar nicht umsetzen wollen. Nein danke, da habe ich mir schon eine Meinung gebildet.» Der Auftraggeber müsse das letzte Wort behalten, stellte Sima klar und deutete an, das kommunale Wettbewerbswesen demnächst neu regeln zu wollen.

Seit der Veröffentlichung dieses Gesprächs hat Sima die Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland voll gegen sich: «Wenn es eine Jury gibt, dann muss ihre Entscheidung aus unserer Sicht auch umgesetzt werden», stellte ihr Vizepräsident Bernhard Sommer klar. Und der Sektionsvorsitzende Christoph Mayerhofer wies darauf hin, dass Architekturbüros 20.000 bis 30.000 Euro in die Hand nähmen, um ihr Projekt für einen Wettbewerb zu entwickeln. Die Vorschläge aus dem Teilnehmerfeld müssten daher eine faire Chance auf Verwirklichung haben, sonst könne man «maximal von einem Schein-Wettbewerb» sprechen.

Unverständlich sei, so die Architektenkammer laut der Tageszeitung Kurier in einer weiteren Replik auf Sima, dass die Umweltstadträtin Wettbewerbe, in denen eine Hundertschaft von Architekten – kostenlos – ihre Ideen beisteuerten, vorrangig als Einschränkung der Stadt betrachte und nicht die damit verbundenen Chancen sehe. Recht polemisch zog der Interessenverband einen historischen Vergleich: Selbst Kaiser Franz-Joseph sei offener gewesen als die SPÖ-Politikerin. Er hätte für die Gestaltung der Ringstraße vor 150 Jahren einen internationalen Wettbewerb ausgeschrieben und sich danach auch nicht in die Umsetzung eingemischt.

Planung ganz ohne Einmischung des Kaisers? Blick auf den Kärntner Ring zwischen 1870 und 1880. Bild: Europeana - Rijksmuseum via wikimedia commons)

Es gebe zahlreiche Beispiele dafür, dass Siegerentwürfe aufgrund unterschiedlicher Begründungen nicht verwirklicht werden – oft weil sich im Nachhinein herausstelle, dass die Voraussetzungen anders sind als in der Ausschreibung dargestellt, so Vizepräsident Bernhard Sommer. «Das man damit rechnen muss, dass Dinge nicht umgesetzt werden, wenn sie einem Mitglied der Stadtregierung nicht gefallen, das ist neu», zeigte er sich besorgt. Das werfe nun insgesamt ein anderes Licht auf beerdigte Projekte. Man habe diese bisher zähneknirschend zur Kenntnis genommen, weil man sie nicht skandalisieren konnte. Meist sei ihr Scheitern auf die Inkompetenz bei der Wettbewerbsdefinition zurückgeführt worden.

Die Architektenkammer bat als Folge des Sima-Interviews schriftlich um ein Gespräch mit Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Und da war noch gar nicht bekannt, auf welches konkrete Projekt sich die Äußerungen der Umweltstadträtin denn eigentlich bezogen hatten.

Eine «landmark» für die Abfallwirtschaft

Das recherchierte der Falter selbst nach und machte vergangene Woche publik, dass es sich bei dem besagten Bauvorhaben wohl um ein Bürogebäude für das Magistratsamt (MA) 48 im Wiener Stadtteil Hernals gehandelt haben musste. Das MA 48 ist für die Müllentsorgung zuständig. 2013 hatte die Kommune einen Wettbewerb initiiert, zu dem sie sechs Architekturbüros einlud. In der Ausschreibung wurde der vorgesehene Standort als öffentlichkeitswirksam beschrieben und als gut geeignet, «ein Zeichen für das nachhaltige Handeln der MA 48 zu setzen und auf die Umweltmusterstadt Wien hinzuweisen». Gewünscht war eine «landmark», die die Bevölkerung zum Nachdenken anregt. «Die Gebäudeform soll ein Symbol für die Wiener Abfallwirtschaft darstellen und in der Formensprache an einen Abfallkübel erinnern,» wurde Amtsleiter Josef Thon in der Ausschreibung zitiert.

Der von Thon favorisierte Entwurf ähnelte tatsächlich einem solchen Müllcontainer. (Bild: Vladimer Shioshvili via wikimedia commons)

Thon favorisierte damals einen Gebäudeentwurf, der tatsächlich große Ähnlichkeiten zu einem Müllcontainer besaß. Bei der Jury stieß der aber nur auf wenig Gegenliebe. Er soll sogar von einem Jurymitglied als «unsäglicher Kitsch» bezeichnet worden sein. Mit zwei Pro- und fünf Kontra-Stimmen wurde der «Müllcontainer» von allen eingereichten Vorschlägen am schlechtesten bewertet.

Der Sieger, ein Bau aus orangefarbenen Containermodulen, erhielt dagegen alle sieben Stimmen der Jury. Dennoch wurde er nicht realisiert, vielmehr blies man das gesamte Unternehmen ab. Das Pikante an der Geschichte: Josef Thon ist der Ehemann von Umweltstadträtin Ulli Sima, welcher auch das Magistratsamt untersteht. Er und Franz Kobermaier, Leiter der MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) gehörten der Jury an, am Ende hatten auch sie für den Siegerentwurf votiert.

Simas Behauptung, die Stadt sei bei der Abstimmung unterlegen, sei daher also schlicht weg falsch, kritisierte Christoph Mayrhofer gegenüber dem ORF, nachdem raus war, welches Projekt die SPÖ-Politikerin im Interview gemeint hatte. Und Mayerhofer legte noch eins drauf: «Wenn sich jemand mit seinen Aussagen so öffentlich gegen die baukulturellen Grundsätze des Gemeinderats und zudem gegen das Vergaberecht stellt, dann reicht er meiner Meinung nach sowieso automatisch seinen Rücktritt ein.»

Sima: Wettbewerbe nicht immer die beste Wahl

Sima setzte sich nach Tagen des Schweigens zur Wehr: Die Causa MA 48 sei ein «ärgerlicher Einzelfall» gewesen, sagte sie der Presseagentur APA. Davor habe es einige Wettbewerbe gegeben, mit deren Ergebnis sie zwar nicht zufrieden gewesen sei, umgesetzt worden seien sie dennoch, entgegnete sie den Vorwürfen seitens der Kammer. Die Politikerin schob nun auch eine inhaltliche Begründung für die Ablehnung des Siegerentwurfs für das Bürogebäude der Abfallentsorger nach: Die Frage sei nicht gewesen, ob der ausgewählte Vorschlag dem Auftraggeber gefällt oder nicht. Dieser habe nicht den Ausschreibungskriterien entsprochen. «Es ist wohl der Normalfall, dass so etwas nicht umgesetzt wird», so die SPÖ-Politikerin.

In einem Interview mit Radio Wien ging Sima schließlich in die Offensive und führte die strengen Rahmenbedingungen von Architektenwettbewerben als Grund dafür an, dass sie diese nicht immer für die beste Wahl halte. Bei Großprojekten würde der Wettbewerb schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt stattfinden. «Wenn es dann zur tatsächlichen Umsetzung kommt und wir natürlich manchmal auch Budgetkürzungen haben, die man nicht voraussehen kann, ist es sehr schwierig, das im Nachhinein zu verhandeln,» sagte sie. Andere Prozedere, etwa eine Direktvergabe oder ein kooperatives Verfahren könnten daher oft die bessere Option sein.

An anderer Stelle erklärte die Umweltstadträtin, dass sie auch im Falter darauf hinweisen wollte, dass manche Prozesse in der Stadt historisch gewachsen seien, dadurch umfangreich und kompliziert geworden sein könnten und möglicherweise effizienter und schneller über die Bühne gebracht werden könnten. Es sei ihr Versuch gewesen, die Debatte über Wettbewerbe und Ausschreibungen in der Stadt zu versachlichen.

Gelungen ist ihr das allerdings nicht, dazu war ihre eigene Tonlage im Gespräch mit dem Falter zu schroff und provokant. Und nun, da den Geschehnissen um den Wettbewerb für das MA-48-Bürogebäude der Ruch der Klüngelei anhaftet, wird es schwierig für sie, als Verfechterin von eventuell wirklich notwendigen Reformen im Wiener Wettbewerbswesen noch überzeugend auftreten zu können. Zumal auch hinterfragt werden muss, ob Effizienz und Schnelligkeit wirklich die maßgeblichen Kriterien für die Realisierung öffentlicher Bauprojekte sein sollten. Und: ob nicht gerade eine Direktvergabe einem sozialdemokratischen Prinzip wie die  breite Beteiligung an Entscheidungsprozessen diametral entgegensteht.

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