Handbuch und Planungshilfe

Architektur der Zuflucht

Jochen Paul
29. March 2017
Gemeinschaftswohnen in Ostfildern (Architektur: u3ba Arge Camilo Hernandez, Harald Baumann / Bild: Markus Guhl)

Als Lore Mühlbauer auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszustroms nach Deutschland bei DOM Publishers in Berlin anrief, ob sie Lust hätten, mit ihr ein Buch zum Thema Flüchtlingsbauten zu machen, hatte sie die Zusage innerhalb von einer Stunde. Etwas mehr als ein Jahr später ist das Buch fertig – und das Thema Wohnungsbau für Flüchtlinge deutlich weniger präsent. «Bücher machen», so Verleger Philipp Meuser vergangenen Mittwoch im gut gefüllten Vorhoelzer Forum der TU München, «ist in Zeiten, in denen vieles nur noch digital gehandelt wird, riskant, aber der Qualität der Information zuträglich.»

Nach diesem einführenden «non, je ne regrette rien» stellten Lore Mühlbauer und ihr Co-Herausgeber Yasser Shretah Aufbau und Inhalt des Buchs vor: «Flüchtlingsbauten» ist nicht nur Handbuch und Planungshilfe, sondern bietet neben den Themen «Typologie», «Konstruktion» und einer Zusammenschau von 20 beispielhaften Projekten aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden auch einen geschichtlichen Abriss zum Wohnen im Orient, auf der Flucht und im Okzident sowie einen Ausblick auf die Zukunft des Wohnens.
In der anschließenden Diskussion ging es vor allem darum, die Brücke vom «Flüchtlingswohnen» zum «Wohnen für alle» zu schlagen – mit Einschränkungen: «Wohnen», so Lore Mühlbauer, «ist im Unterschied zur Erstaufnahme dadurch gekennzeichnet, dass ich freiwillig dort bin». Yasser Shretah verwies darauf, dass deutsche Standards nicht für alle Kulturkreise funktionieren: Parkettboden komme im arabischen Raum so gut wie nicht vor, weshalb auch die Wertschätzung dafür fehle. Und was die Grundrisse angeht, wäre es besser, die Schlafzimmer kleiner und das Wohnzimmer dafür größer zu planen.

Das Containerdorf nahe Quaraoun an der syrischen Grenze besteht seit 2010 und entwickelt sich langsam zu einem eigenen Ortsteil. Im Hintergrund entstehen weitere Zelte, das Lager erweitert sich (Bild: Wajiha Shihab)
Gemeinschaftsunterkunft in Salzburg (Bild: Melanie Karbasch)

Für die Salzburger Architektin Melanie Karbasch ist die Betreuung der Wohnanlagen zentral für deren Erhalt: Der verantwortungsvolle Umgang mit der Immobilie müsse geschult und gelernt werden – wenn die Bewohner nicht richtig heizen und lüften, sei eine Anlage im schlimmsten Fall nach zwei bis drei Jahren abbruchreif. Daran knüpfte Cornelius Mager an: Woran man seiner Erfahrung auf keinen Fall sparen dürfe, sei der innere Schallschutz – «das ist der häusliche Friede, man braucht nicht auch noch die Probleme der Nachbarn». Alle übrigen Standards hat der 2014 gegründete, von ihm geleitete referatsübergreifende Stab zur Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen hinterfragt, vom Wohnen im Gewerbegebiet und der Ansiedlung im Außenbereich über den Brandschutz – dabei fokussierte man sich auf das Thema Flucht- und Rettungswege – bis hin zum Wärmeschutz. Die zentrale Frage dabei war: «Wo kann man bauen, wo man bisher nicht bauen konnte?». Mitte 2015 lag die Frist bis zur Erteilung einer Baugenehmigung bei vier Wochen.
 
Insofern hat das Strohfeuer der «Willkommenskultur» in Deutschland zwar dazu beigetragen, das Thema Unterbringung einer großen Anzahl von Flüchtlingen zu nutzen: Die Diskussion über den Sozialen Wohnungsbau und über bauliche Standards wurde wiederbelebt. Wie viel sie jedoch wirklich miteinander zu tun haben, ist fraglich – Erstunterkünfte sind ein teures Provisorium und etwas grundsätzlich anderes als «Wohnen für alle». Großstädte verlangen allein schon wegen ihrer hohen Bodenpreise nachhaltige Architektur, und wegen ihrer meist schlechten Infrastruktur und Verkehrsanbindung sind Gewerbegebiet und Peripherie auf die Dauer ebenfalls problematisch.


  Architektur der Zuflucht: Von der Notunterkunft
zum sozialen Wohnungsbau

Handbuch und Planungshilfe Flüchtlingsbauten

Lore Mühlbauer, Yasser Shretah (Hg.)
2017. DOM publishers, Berlin
304 Seiten, 300 Abbildungen, 22 x 28 cm
Deutsch

Hardcover mit Gummiband
ISBN 978-3-86922-532-6
 

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