Mit dem Radl nach Teneriffa

Falk Jaeger
4. May 2017
Der neue, noch nicht eröffnete Flughafen in Berlin-Schönefeld von gmp Architekten (Bild: Marcus Bredt)

Kleinlaut, so könnte man mittlerweile das Auftreten des Berliner Senats und der Brandenburgischen Landesregierung in Bezug auf den Flughafen Berlin Brandenburg BER charakterisieren. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn inzwischen ist klar: Das Projekt BER ist das desaströseste Bauvorhaben, das Deutschland jemals gesehen hat, vielleicht ausgenommen der Kölner Dom, der, anfangs in größenwahnsinnigen Dimensionen geplant und begonnen, erst nach Ablauf von 632 Jahren dann doch fertiggestellt worden ist. Immerhin das hat er dem BER voraus. (Der BER hat allerdings gute Chancen, von Stuttgart 21 übertroffen zu werden, aber das ist eine andere Geschichte, die uns nach dem BER noch viele Jahre zu unterhalten verspricht).
Unterhaltsam, das ist der BER von Anbeginn gewesen, jedenfalls für alle, die die Angelegenheit von außen, ohne fachliches, politisches oder emotionales Engagement betrachten. Für alle anderen, u.a. für den Steuerzahler ist es zum Heulen. Und es ist frappierend, dass das Projekt seit der fatalen politisch, nicht sachlich motivierten Entscheidung für den ungeeigneten Standort Schönefeld im Mai 1996 ausschließlich schlechte Nachrichten liefert. Und dies so nachhaltig, dass die Presse und die Öffentlichkeit längst ermüdet sind und bei jeder neuen Katastrophenmeldung genervt abwinken. So kommt es, dass selbst die schlimmsten Nachrichten kaum mehr wahrgenommen werden, bzw. ihre Tragweite nicht mehr erkannt wird.

Erschließung und Kosten fraglich
Jüngst zum Beispiel, als man einmal nachgerechnet hatte (jetzt erst), dass der BER völlig unzureichend erschlossen ist. Dass auf der Autobahn zur Innenstadt praktisch mit Dauerstau zu rechnen sein wird. Ein nagelneuer Hauptstadtflughafen mit besten Aussichten, den Flug zu verpassen! Ein Verkehrsgutachten der Flughafengesellschaft (!) empfiehlt deshalb allen Ernstes eine Maut auf der Berliner Stadtautobahn. Dass es in zwanzig Jahren auch nicht gelungen ist, eine schnelle Bahnanbindung an die Innenstadt zu bauen, passt ins Bild. Der Ausbau der direkten Verbindung entlang der Trasse der «Dresdner Bahn» zieht sich mit unbestimmtem Ende hin, sodass der Airport-Express Umwege fahren muss. Zusätzliche Züge sind derzeit ohnehin nicht möglich, weil, man erinnert sich, die Brandschutzprobleme noch nicht gelöst sind.
Wie sediert reagiert die Öffentlichkeit auch auf die Kostenmeldungen. Vielleicht, weil Nachhaltigkeit derzeit hoch im Kurs steht. Denn das einzig Nachhaltige am BER ist der stetige Anstieg der Kosten. Im August vergangenen Jahres genehmigte die EU weitere Kredite bzw. die Landesbürgschaften. Nun können die nächsten 2,2 Milliarden Euro zugebuttert werden. Eine Summe, die spielend für einen kompletten Neubau reichen würde. Zum Vergleich: Der Bau des 2012 eingeweihten Terminals A+ in Frankfurt (185.000 m², gut halb soviel wie beim BER) dauerte fünf Jahre und kostete 500 Millionen Euro. Natürlich wird verkündet, mit den 6,8 Milliarden werde man jetzt auskommen. Worauf niemand einen Cent setzen würde, denn der Nachsatz: «wenn nichts Gravierendes mehr dazwischen kommt» bildet mittlerweile sozusagen die Fußzeile auf jedem Papier, das die Flughafengesellschaft veröffentlicht.

Brandschutz in Nöten
Für viel Kurzweil sorgt seit Jahren der Brandschutz. Man erinnert sich, dass 2012 vor allem ungelöste Entrauchungsprobleme und fehlerhafte Schließanlagen der Türen zur Absage des Eröffnungstermins geführt hatten. Kürzlich wurde gemeldet, die für Brandschutz und Sicherheit unverzichtbare elektronische Steuerung von 80 Prozent der Türen funktioniere nicht. Deshalb werde sich die Eröffnung um ein Jahr verschieben. Kostet etwa 400 Millionen Euro extra. Die Weltmarktfirmen Bosch und Siemens haben es also in fünf weiteren Jahren nicht geschafft, funktionierende Türen zu liefern.
Im Februar verkündete die Flughafengesellschaft, 29'000 Sprinklerköpfe seien ausgetauscht worden. Das sollte wie eine Erfolgsmeldung klingen. Doch die Frage muss erlaubt sein: Wer hat Zehntausende fehlerhafter oder zu kleiner Düsen berechnet, bestellt und einbauen lassen? Nach dem Einbau hat man erkannt, dass im Seitenterminal die Rohrleitungen neu gezogen werden müssen. Offenbar kam niemand auf die Idee, beim Umbau nachzurechnen, ob die Leitungen größer dimensionierte und zusätzliche Sprinklerköpfe zuverlässig versorgen können.

Baustelle Personalentscheidungen
Der damalige BER-Chef Karsten Mühlenfeld entließ den ihm schon länger nicht genehmen Technik-Vorstand Jörg Marks. Das durfte er eigenmächtig nicht tun, sagte der damalige Aufsichtsratschef, der Regierende Bürgermeister Michael Müller, und entließ seinerseits den ihm schon länger nicht genehmen Mühlenfeld.
Man muss schon am Ball bleiben, um über den jeweiligen Personalstand im Bilde zu sein. Beim BER wurden schon ein Regierender Bürgermeister, mehrere Aufsichtsräte und Aufsichtsratsvorsitzende, mehrere Vorstandsvorsitzende, Vorstände und Technikchefs und die Projektsteuerung ausgewechselt sowie die planenden Architekten in die Wüste geschickt – ohne Erfolg. Nur die unfähige Controlligfirma, von Anbeginn für die Misere mitverantwortlich, darf nach wie vor weiterwursteln, das verstehe wer will. Gegenwärtig versucht sich der bisherige Staatssekretär und Berliner Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup als BER-Chef. Ein Politiker zwar, aber immerhin ein gelernter Stadtplaner. Dass er dereinst den Flughafen eröffnen wird, ist wenig wahrscheinlich. Zu vernehmlich hat er schon 2018 als Termin in Aussicht gestellt. 2019 könnte es was werden. Falls nichts schiefgeht. Aber wenn es etwas gibt, auf das man sich beim BER verlassen kann, ist es wohl, dass etwas schiefgeht…
 
Und wie weiter ohne Tegel?
Dabei gibt es noch ein Damoklesschwert: Nächsten Herbst läuft die EU-Betriebserlaubnis für Tegel ab. Die Beantragung einer Verlängerung sei kein großes Problem. Sagt die Flughafengesellschaft. Aber wer würde darauf einen Cent wetten? Der abgeranzte DDR-Flughafen Schönefeld für einige Jahre lang als einziger Airport der deutschen Hauptstadt? Selbst das würde nicht mehr überraschen.
Apropos Tegel. Anfang April wurde das erstaunliche Ergebnis einer Unterschriftenaktion bekannt gegeben: Fast 250'000 Berliner fordern die Offenhaltung ihres geliebten Flughafens Tegel auch nach Eröffnung des BER. Die Forderung hat einige Logik für sich, denn der BER wird, wie schon seit Jahren absehbar, bei Eröffnung bereits wesentlich zu klein sein, selbst wenn, wie inzwischen gezwungenermaßen beabsichtigt, das alte Terminal des Flughafens Schönefeld weiter betrieben wird. Der neue BER ist für eine Kapazität von 27 Millionen Passagieren pro Jahr ausgelegt. 2016 zählte man bereits 32,9 Millionen. Für 2030 wird mit 46,8 Millionen gerechnet.

Glauben und Hoffen
Dass alle Verantwortlichen mantraartig beteuern, aus rechtlichen Gründen sei die Schließung von Tegel sechs Monate nach Eröffnung des BER unausweichlich und für den Fall der Zuwiderhandlung jahrelange juristische Scharmützel und als worst case ein BER-Eröffnungsverbot vorhersagen, kümmert die Berliner nicht (mehr). Sie haben verständlicherweise jeglichen Glauben an die Aussagen der Politik zum Thema BER verloren. Wenn der politische Wille aller Beteiligter da sei, und den wolle man nun herbeiführen, werde man auch Wege finden. Durch die Unterschriftenliste ist der Senat nun gezwungen, eine Volksabstimmung zu organisieren.
Unterdessen erwägt die Berliner SPD einen geradezu genialen Schachzug: Auf dem Landesparteitag im Mai wird ein Antrag diskutiert, den Luftverkehr zu begrenzen und den weiteren Ausbau des BER zu stoppen. Man solle den Luftverkehr an die Kapazitäten anpassen, nicht umgekehrt. Nachtflugverbot erweitern, Start- und Landegebühren erhöhen, Luftverkehrssteuer anheben, sind einige der Vorschläge.  Zur Luftverkehrsberuhigung könne die Umlenkung des Reiseverkehrs auf Bahn, Bus und Fahrrad beitragen. Prima. Mit dem Radl nach Teneriffa, das wär's. Beim Volkstheater BER öffnet sich der Vorhang zum nächsten Akt.

Featured Project

Sieveke Weber Architekten BDA

Scheune für Lucia und Samuel

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