Moscheenbau in Deutschland

Mihrab und Moderne

Carsten Sauerbrei
5. April 2017
Traditionell gestaltete Gebetsnische, Mihrab in der 1973 als Schalenkonstruktion errichteten Münchner Freimann-Moschee. (Bild: Gebetsaal Moschee München-Freimann by Karl Schillinger / CC BY-SA 3.0)

Moscheenbau in Deutschland: Ein bisher zu wenig beachtetes Feld der Architektur, setzt man es ins Verhältnis zur Anzahl der in Deutschland existierenden islamischen Gebetshäuser. Ungefähr 2750 sollen es nach Recherchen der «Zeit» sein. Und zu wenig beachtet, betrachtet man die 102-jährige Geschichte muslimischer Sakralarchitektur in Deutschland. Die erste deutsche Moschee entstand immerhin schon 1915, während des Ersten Weltkriegs im brandenburgischen Wünsdorf für muslimische Kriegsgefangene. 

Postkarte von 1916 mit Abbildung der Holzmoschee im Halbmondlager bei Wünsdorf, Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs (Bild: Wilhelm Puder, Berlin / Gemeinfrei)

Rückgriff auf die Vergangenheit 

Die erste, nach Plänen der Berlin-Charlottenburger Architekturfirma «Stiebitz und Köpchen» errichtete Moschee Deutschlands begründete mit ihrer historistischen, an den Jerusalemer Felsendom erinnernden Architektur eine der beiden Traditionslinien, die muslimische Sakralarchitektur in Deutschland prägen. Ebenfalls historistisch, mit Bezügen zum Taj Mahal präsentiert sich bis heute die 1924–28 entstandene und damit älteste, noch existierende Moschee Deutschlands in Berlin-Wilmersdorf des Berliner Architekten Karl Alfred Herrmann. Konnte 1915, in der Kaiserzeit, der Historismus noch als zeitgenössischer Stil gelten, so gehörte er 1928, zur Hochzeit der Moderne, definitiv der Vergangenheit an. Dennoch bestimmt diese Formensprache, die Halt in der Geschichte sucht und Zeit- sowie Ortsbezug weitgehend negiert, den deutschen Moscheenbau zu großen Teilen bis in die Gegenwart, was unter anderem an der 2004 fertiggestellten Berliner Sehitlik-Moschee sichtbar wird. Anspruch des türkischen Architekten Muharrem Hilmi Senalp vom Istanbuler Büro «Hassa Architecture» war es dort, eine möglichst detailgetreue Kopie osmanischer Architektur des 16. und 17. Jahrhunderts zu schaffen. 

2004 fertiggestellte Sehitlik-Moschee, Berlin, Deutschland. (Bild: Zairon / CC BY-SA 4.0)

Auseinandersetzung mit der Moderne 

Erst 1957, als erster Neubau nach dem Zweiten Weltkrieg entsteht eine Moschee, die sich mit ihrer Architektur tatsächlich auf Zeit und Ort bezieht. Die heute leider nicht mehr im Originalzustand erhaltene Hamburger Fazle-Omar-Moschee ähnelte äußerlich mit Ausnahme des minarettflankierten Eingangs bescheidener Wohnarchitektur, vor allem Bungalows der 1950er-Jahre. Mit brutalistischem Sichtbeton und damit ebenfalls ganz zeitgeistig präsentierte sich auch die 1964–71 errichtete Bilal-Moschee in Aachen nach Plänen der Architekten Rudolf Steinbach und Gernot Kramer. Weitere Beispiele für zeitgenössische Interpretationen traditioneller, islamischer Architekturelemente finden sich bei der parabelförmigen Schalenkonstruktion der 1973 fertiggestellten Münchner Freimann-Moschee von Osman Edip Gürel und Necla Gürel, sowie bei der 1995 eingeweihten, spätpostmodernen Mannheimer Yavuz-Sultan-Selim-Moschee von Mehmed Bedri Sevinçoy und Hubert Geißler. So zeitgenössisch sich auch das Äußere dieser Gebäude präsentiert, im Inneren bestanden die Bauherren und Nutzer bis auf wenige Ausnahmen auf Innenräume, die stark an traditionellen Vorbildern orientiert sind. 

Das ursprünglich brutalistisch geprägte Erscheinungsbild des Islamischen Zentrums Aachen (Bilal-Moschee) ist heute kaum noch erkennbar. (Bild: Euku / CC-BY-SA-3.0)

Islamisches Forum Penzberg 

Der immer noch einzige deutsche Neubau einer Moschee, der im Äußeren und im Inneren traditionelle islamische Architekturelemente zeitgenössisch neu interpretiert und gleichzeitig lokale Bautraditionen aufnimmt, ist das 2005 fertiggestellte Islamisches Forum Penzberg des Augsburger Architekten Alen Jasarević. Der schlichte, quaderförmige Baukörper aus Jurakalk mit seinen großen Glasflächen präsentiert sich als eine gelungene Komposition aus moderner Geometrie, zeitgenössischer Transparenz und lokaler Handwerklichkeit. Mit Ausnahme des Minaretts, das aufgrund der früheren Erzgewinnung in Penzberg aus durchbrochenen Stahlplatten besteht und kalligraphisch den Gebetsruf darstellt, ist das Gebäude zunächst kaum als muslimische Gebetsstätte zu erkennen. Sakralität strahlt zwar die blaue Bruchglasfassade aus, die eine ganze Gebäudeseite einnimmt. Einen spezifisch islamischen Bezug stellt dann jedoch erst wieder das Eingangsportal aus zwei Betonwänden her, die sich wie Buchseiten öffnen und mit dem muslimischem Vaterunser und einem Teil des Koranverses 49:13 in deutsch und arabisch beschriftet wurden.

Das Islamische Forum Penzberg erscheint als gelungene Kombination aus zeitgenössischer Formensprache mit islamischen Architekturelementen. (Bild: Islamische Gemeinde Penzberg e.V.)

Auch im Inneren der Moschee, im großen Gebetssaal schafft es Jasarević mit der Wahl einer neuen, zeitgenössischen Formensprache für die traditionellen, islamischen Architekturelemente Gebetsnische, Kanzel und Vortragspodium zwischen Tradition und Gegenwart zu vermitteln. Eine sakrale Atmosphäre, Spiritualität und Gottesnähe jenseits traditioneller Formen erzeugen die sich wiederholenden, abstrakt sternförmigen Ornamente, die die sandgestrahlten, weich wirkenden Sichtbetonwände und -decken überziehen, die blau leuchtende, gen Mekka orientierte Gebetswand sowie die zu dieser im Farbkontrast stehenden, golden schimmernde Gebetsnische. 

Klarheit und Sakralität, traditionelle Ornamentik und zeitgenössische Gestaltung zeichnen den Gebetssaal des Islamischen Forums Penzberg aus. (Bild: Islamische Gemeinde Penzberg e.V.)

Zentralmoschee Köln 

Das Islamische Forum Penzberg wird auch in absehbarer Zukunft der einzige deutsche Moscheenneubau bleiben, bei dem ein Architekt sowohl im Äußeren, wie im Inneren seine Vorstellungen von zeitgenössischer, muslimischer Sakralarchitektur verwirklichen konnte. Möglich wurde dies aufgrund des Zusammenwirkens eines liberalen Imams, eines Architekten, persönlich vertraut mit dem Islam, und Geldgebern, die sich nicht in die Gestaltung einmischten. Um wie vieles schwieriger gestaltete sich da die Arbeit des Kölner Architekten Paul Böhm, der 2006 den Architekturwettbewerb für den Neubau der Kölner Zentralmoschee gewinnt, dessen Ergebnis der Bauherr, die Kölner DITIB, auch mitträgt. Die Innenraumgestaltung jedoch war kein Bestandteil des Wettbewerbs und so beauftragt die DITIB später eigene Künstler damit – und so war eine einheitliche Wirkung von Außen und Innen nicht garantiert. Es folgten Querelen und gegenseitige Vorwürfe, inklusive Vertragskündigung zwischen Bauherrn und Architekt, die nun sechs Jahre zurückliegen und tatsächlich sieht es jetzt endlich so aus, als ob noch in diesem Jahr die Innenräume, vor allem der große Gebetssaal fertiggestellt werden könnten. 

Eine elf Meter Hohe Betonscheibe inmitten der glasdurchbrochenen Betonschalen der Kölner Zentralmoschee zeigt die Position der Gebetsnische an. (Bild: Chris Schroeer-Heiermann)

Paul Böhms Entwurf einer aufgefächerten Betonkuppel – durchbrochen von großen Glasflächen, flankiert von zwei schlanken Minaretten und umgeben von einer sich auf das Stadtgefüge beziehenden Randbebauung inklusive einladender Freitreppe – soll im Äußeren Transparenz und Offenheit, aber auch das Profane und Sakrale, das Reguläre und das Besondere symbolisieren. Im Inneren, so erläutert Paul Böhm im Gespräch, sei es ihm wichtig gewesen zu überlegen, welche Bedürfnisse ein muslimischer Gläubiger habe und wie sie in Architektur zu übersetzt werden könnten. In seinem Entwurf seien es die vier Kuppelschalen, die mit ihrer ummantelnden Form – wie Hände – den Betenden Geborgenheit geben sollen, den heiligen Bezirk schützend überhöhen und sich gleichzeitig zum Himmel, als Symbol von Transzendenz öffneten. Böhms Wettbewerbsentwurf enthielt für die konkrete Ausgestaltung des Innenraums nur einen Fixpunkt, die Positionierung der Gebetsnische als elf Meter hoch aufragende Betonscheibe inmitten der sich zur Stadt öffnenden Glasflächen. 

Innenraumentwurf des Istanbuler Ateliers «Nakkaş» für den Gebetssaal der Kölner Zentralmoschee mit Gebetsnische, Kanzel und Vortragspodium. (Bild: DITIB Köln)

Nach der 2011 erfolgten Vertragskündigung zwischen Paul Böhm und der DITIB Köln war zunächst der Architekt Orhan Gökkus, der deutschlandweit bereits mehrfach Moscheen für die DITIB errichtet hatte, mit der technischen Fertigstellung der Moschee beauftragt worden. Im Gespräch mit Uta Winterhager von «koelnarchitektur.de» teilte er 2012 mit, dass er eine zeitgenössische Innenraumgestaltung anstrebe, eine Fusion von Orient und Okzident. Weniger als ein Jahr später wird auch dieses Arbeitsverhältnis beidseitig aufgekündigt. Seither war bis Anfang dieses Jahres unklar, nach welchem Konzept und von wem der Innenraum gestaltet werden würde. 

Stand der Innenraumarbeiten im großen Gebetssaal Mitte März, noch ohne Kanzel, Vortragspodium und ausgestatteter Gebetsnische (Bild: DITIB Köln)

Zur Kölner «Interior Design Week» im Januar dieses Jahres präsentierte die DITIB nun die Pläne für die endgültige Gestaltung des Gebetssaals, die von der türkischen Architektin Merih
AYKAÇ stammen und vom Istanbuler Atelier «Nakkaş» unter der künstlerischen Oberleitung von Semih İrteş realisiert werden. Die Entwürfe zeigen vorsichtig abstrakte Stuck-Ornamentik, ergänzt durch mit weißem und gelbem Blattgold belegte, kalligraphische Elemente, die die «99 schönsten Namen Allahs sowie Verse aus dem Koran und die Namen der wichtigsten Propheten» darstellen, wie der Projektleiter Selim Mercan anlässlich der Ausstellung der Pläne gegenüber «report-K» erläuterte. Erste Fotos vom Innenraum zeigen tatsächlich farbliche und gestalterische Zurückhaltung und Eleganz, die gut zur ebenfalls zurückhaltend modernen Formensprache Böhms passt. Es sei zwar nicht sein Entwurf, aber durch eine enge Abstimmung zwischen ihm und dem Atelier «Nakkaş» sei ein Innenraumkonzept entstanden, mit dem er gut leben könne, so Paul Böhm auf Nachfrage. 

Blick zur Kuppeldecke mit Kronleuchter und Stuck-Ornamentik, ergänzt durch mit weißem und gelbem Blattgold belegte, kalligraphische Elemente. (Bild: DITIB Köln)

Zukunft ungewiss 

Die schwierige Planungs- und Baugeschichte der Kölner Zentralmoschee, die die verschiedenen Erwartungen von deutscher Öffentlichkeit und muslimischen Nutzern sowie Bauherrn aufzeigt, scheint typisch für aktuelle Diskussionen um Moscheebauprojekte. Dies dürften auch die Gründe dafür sein, warum bisher kein weiterer der vielversprechenden zeitgenössischen Entwürfe der letzten Jahre für neue Moscheen in Angriff genommen wurde. Weder in Hamburg-Norderstedt, wo das Büro «agp sü» schon 2010 Pläne für eine «Öko-Moschee» entwickelte, noch in Heilbronn, wo 2014 das Dornbirner Büro «Bernardo Bader Architekten» zwar den Architekturwettbewerb gewann, aber mittlerweile aus dem Projekt ausgestiegen ist. Für den Erfolg zeitgenössischer Moscheenarchitektur braucht es – so wie beim Penzberger Projekt – Architekten, die einen persönlichen Bezug zum Islam haben, sowie Moscheegemeinden und eine deutsche Öffentlichkeit, die gewillt sind, sich Neuem zu öffnen und aufeinander zuzugehen. Bisher ist diese Kombination – leider – immer noch eine große Ausnahme. 

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