In neuer Gesellschaft

Katinka Corts
7. September 2016
Baubotanischer Steg, Ferdinand Ludwig und Oliver Storz, 2005 (Bild: C. Moro)

2005 haben Sie auf dem Areal «Neue Kunst am Ried» den Baubotanischen Steg errichtet, bei dem Lauffläche und Handlauf vollständig von Weidenbäumen getragen werden. Vier Jahre später bauten Sie Ihren ersten Baubotanischen Turm, den man bis in 6.60 Meter Höhe erklimmen kann. Wie geht es diesen Prototypen heute?
Beide Bauten entwickeln sich insgesamt gut, werden regelmäßig gepflegt und betreut, teilweise auch von Studenten im Rahmen von Workshops. Der Steg ist sehr vital und hat sich sehr gut entwickelt. Viele der kleinen Bäume sind gut gewachsen, stabiler und dicker geworden, haben dabei aber auch schwächer wachsende verdrängt, die abgestorben sind. Auf Basis dieser Erfahrungen haben wir im Laufe der Jahre ein Pflege- und Entwicklungskonzept entwickelt, das diesen natürlichen Prozess berücksichtigt.
Den Turm haben wir in den vergangenen Jahren regelmäßig technisch weiterentwickelt und optimiert. Bislang ist jedoch noch nicht absehbar, dass  die Pflanzen die Plattformen allein tragen.

Baubotanischer Turm (F. Ludwig und C. Hackenbracht, 2009): Unmittelbar nach Fertigstellung, im zweiten Wachstumsjahr, Modell eines möglichen zukünftigen Zustands. (Fotos: Ludwig/Ludwig/Miklautsch Uni Stuttgart)

Mit diesen Erstlingswerken haben Sie Ihre Forschung in die Praxis übersetzt und gleichzeitig weiterforschen können, am lebenden und wachsenden Objekt. Mit dem begehbaren Platanenkubus der Landesgartenschau in Nagold 2012 haben Sie Ihre Arbeit der breiteren Öffentlichkeit zeigen können. Was übernimmt das Projekt vom Turm am Ried und was ist anders?
Unser erstes öffentliches Projekt ist deutlich größer. Es ist nicht mehr nur ein rein technischer Prototyp, sondern auch ein langfristig angelegtes architektonisches Experiment im urbanen Kontext. Verändert haben wir auch die Pflanze – in Nagold setzen wir Platanen statt Weiden ein. Platanen vereinen viel von dem in sich, was wir für unsere Projekte brauchen und sind ein guter Kompromiss aus Schnellwüchsigkeit und Dauerhaftigkeit. Es sind viel verwendete Stadtbäume, sie können gut mit der Bodenverdichtung, den Schadstoffen und dem Nutzungsdruck umgehen. Man muss bedenken, was eine Pflanze in der Stadt aushalten muss: Extreme Schwankungen im Mikroklima, hohe Strahlungsintensität durch Reflektion von Fassaden, aber auch erhöhte Windgeschwindigkeiten in den Häuserschluchten. Die Platane ist für all das prädestiniert, wächst in allen mittel- und südeuropäischen Gefilden.

Platanenkubus Nagold unmittelbar nach Fertigstellung (ludwig.schönle: F. Ludwig und D. Schönle, 2012; Foto: Ludwig)

Eignet sich jede Baumart gleichermaßen für die Verwendung in der Baubotanik? 
Nein, entscheidend ist zunächst, dass die Stämme bzw. Äste gut miteinander verwachsen und  technische Bauelemente gut umschließen können. Dies ist beispielsweise sehr stark vom Aufbau des Holzes und der Rinde abhängig. Darüber hinaus müssen sie die angewendeten Verbindungstechniken, wie z.B. das Verschrauben von Trieben, gut tolerieren können. Insgesamt sollten sie möglichst robust und stresstolerant sein und potentiell auftretende Wunden sollten rasch und gut verheilen.
Die Weide hatten wir für Steg und Turm gewählt, weil sie schnell wächst – ideal für unsere Pionierbauten, an denen man schnell Resultate sehen sollte. Sie ist jedoch nicht besonders dauerhaft. In verschiedenen Versuchsreihen haben wir daher mehr als zehn andere Arten auf ihre Eignung für die Baubotanik untersucht. Die Tests laufen immer noch, als Langzeitprojekte, in Zusammenarbeit mit einer Baumschule in Norddeutschland auf gesonderten Testfeldern bzw. in der Versuchsstation für Gartenbau in Hohenheim. Bislang zeigt sich, dass sich im städtischen Kontext Baumarten wie z.B. die Platane, die Hainbuche und auch die Hopfenbuche gut eignen.

Prinzip der Pflanzenaddition (Idee und Zeichnung: Ludwig)

Wie ist der Bau in Nagold konstruiert? 
Wie auch beim Baubotanischen Turm setzen wir beim Platanenkubus Nagold auf die am Forschungsgebiet Baubotanik entwickelte Technik der Pflanzenaddition. Dabei werden in speziellen Behältern wurzelnde Pflanzen derart im Raum angeordnet und so miteinander verbunden, dass sie zu einer pflanzlichen Fachwerkstruktur verwachsen.  Die Pflanzen werden anfangs mit Wasser und Nährstoffen versorgt und mittels temporärer Hilfsgerüste in Form gehalten. Im Verlauf der weiteren Entwicklung entsteht eine selbsttragende und belastbare Struktur, sodass die Hilfsgerüste obsolet werden. Gleichzeitig wird erreicht, dass der Transport von Wasser und Nährstoffen von der untersten Wurzel bis zum obersten Blatt erfolgen kann und die untersten, in den Erdboden gesetzten Pflanzen, ein sehr leistungsfähiges Wurzelsystem entwickeln. Die im Gerüstraum angeordneten Wurzeln werden dadurch überflüssig und können entfernt werden. Auf diese Art können in kürzester Zeit baubotanische Räume in der Dimension ausgewachsener Bäume gebildet werden, die langfristig die Robustheit eines natürlich gewachsenen Baumes erreichen. Beim Platanenkubus wachsen drei begehbare Plattformen in die so gebildete pflanzliche Fachwerkstruktur ein.

Prognostizierte Entwicklung des Platanenkubus Nagold über ca. 18 Jahre (Zeichnung: ludwig.schönle)
Entwicklung eines Einwachspunktes am Baubotanischen Steg im Verlauf von 7 Jahren (Fotos: Ludwig)

Übliche Bauwerke lassen sich berechnen und kontrollieren, wachsende Bauwerke sind abhängig von der Entwicklung der Pflanzen. Wie muss ein Gebäude über seine Lebensdauer überwacht werden, wenn sich die einzelnen Komponenten der Konstruktion ständig verändern?
Obwohl die meisten Menschen denken, dass sich die Krone «nach oben schiebt» wenn ein Baum wächst, findet das Höhen- bzw. Längenwachstum tatsächlich immer nur an der Triebspitze statt. Der Stamm zeigt nur Dickenwachstum. Deshalb verändert sich die Grundgeometrie unserer Bauten nicht. Das Dickenwachstum ermöglicht das Verwachsen und das Einwachsen technischer Gegenstände, es verlangt aber auch nach Konstruktionen, die für den dabei auftretenden Wachstumsdruck ausgelegt sind.  Natürlich lässt sich nicht alles berechnen, die Dynamik des Wachstums bringt es mit sich, dass immer eine gewisse Unsicherheit verbleibt – ein konstruktiv schwieriger, konzeptionell aber sehr spannender Aspekt der Baubotanik.

Haus der Zukunft Berlin. Wettbewerbsbeitrag, 3. Preis (Bild: ludwig.schönle 2012)

Ist das Bauen mit Bäumen auch in einem größeren Maßstab denkbar?
Durchaus, aber nicht zwingend als Primärtragstruktur des Tragwerks. Beim Wettbewerb «Haus der Zukunft», ausgelobt durch das BBSR, haben wir eine baubotanische Fassade entwickelt. Der Wettbewerb fragte nach Technologien und Produkten, die heute keiner vorhersehen kann. Wir schlugen daher ein Bauwerk vor, von dem jetzt noch keiner weiß, wie es in Zukunft einmal aussehen wird. Das Haus der Zukunft hat eine selbsttragende Baumfassade, die integraler Bestandteil des Gebäudekonzepts ist. Haus und Baum auf gleicher Grundfläche bedeutet eine große Veränderung im Stadtbild: Nicht mehr der Baum zwischen Haus und Straße, auf kleinem Fleck, sondern geplantes Grün, das quasi aus dem Haus herauswächst. Das erzeugt ein neues Mikroklima: Verschattung und Kühlung im Sommer, im Winter ist der Lichteinfall nach dem Laubfall im Herbst gegeben. Keine Passivhausarchitektur, sondern aktive Häuser, deren Fassade eine positive Wirkung auf den Außenraum haben.

Was wird mit der Baubotanik in der Zukunft möglich sein? Kann sie massentauglich werden oder bleiben diese Projekte die Ausnahme?
In den vergangenen Jahren haben sich zwei Anwendungsbereiche entwickelt: Erstens kleinere Projekte für die freie Landschaft, bei denen die tragende Funktion der Pflanze sinnvoll genutzt werden kann, weil die Bauwerke ohne aufwändige Fundamente auskommen.  Zweitens Projekte, die wie das Haus der Zukunft die Verschmelzung von Haus und Baum anstreben und im Bereich des «landscape urbanism» anzusiedeln sind. Derartige Projekte  sind hochkomplex, weil wir Zuständigkeiten und Bauabläufe neu denken müssen. Es geht dann plötzlich auch um baurechtliche Lösungen, Nutzungspläne und Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der Baubotanik – Aspekte, die wir in einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt intensiv bearbeitet haben. Im urbanen Raum kann die Baubotanik viel beitragen, weil die Baumstrukturen eine hohe Verdunstungsleistung haben und Wasser so produktiv für die Gebäude- und Stadtkühlung genutzt werden kann. Wir denken, dass wir mit unserem Ansatz hier neue Möglichkeiten bieten, die sich mittel- und langfristig in der Architektur und Freiraumgestaltung etablieren können.

Besten Dank für das Gespräch!

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