Serielles Pilotprojekt

LIN Architekten Urbanisten
19. July 2017
Bremer Punkt 1 – Blick von der Straße (Foto: Nikolai Wolff)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der Bremer Punkt ist aus dem Ideenwettbewerb «ungewöhnlich Wohnen» hervorgegangen. Gesucht wurden prototypische Antworten auf den Umgang mit Wohnsiedlungen der Nachkriegsmoderne, auf die Anpassungsfähigkeit der Quartiere sowie auf die Ansprüche an bezahlbaren, flexiblen Wohnraum für vielfältige Bewohnerstrukturen. Wir haben einen seriellen und anpassungsfähigen Bautyp vorgeschlagen, der den vorhandenen Wohnungsbestand um flexible und barrierefreie Grundrisstypologien ergänzt.

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Uns ging es hier um einen Gebäudetyp, der Voraussetzungen für vielfältige Wohnmuster schafft: Wohnen und Arbeiten ebenso wie Angebote für unterschiedliche Familienkonstellationen, Singlehaushalte oder gemeinschaftliche Wohnformen. Das Konzept wurde als Baukastensystem entwickelt, in dem je Gebäude vier bis elf Wohnungen miteinander kombiniert werden. Das Angebot reicht vom Ein-Zimmer-Apartment mit 30 Quadratmetern bis zur Sechsraumwohnung mit einer Wohnfläche von 138 Quadratmetern. Die unterschiedlichen Wohnungstypen können in über 60 Geschossvarianten kombiniert und nahezu beliebig in den vier Geschossen gestapelt werden. Damit sind je nach Standort individuelle Angebote für unterschiedliche Nutzergruppen möglich.

Loggia und Wohnküche bilden eine räumliche Einheit (Foto: Nikolai Wolff)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die Siedlungen haben großzügige Grünflächen, die wir erhalten wollten. Mit einer Grundfläche von knapp 14 x 14 Metern fügt sich das kompakte Punkthaus flexibel in in den Kontext ein. Das aktiviert städtebauliche Nischen und ermöglicht die flächenschonende Realisierung neuer Wohnungen. Auf örtliche Gegebenheiten kann je nach Lage hinsichtlich Erschließung, Grundfläche, Fassade und Gebäudeform reagiert werden.

Laubengang (Foto: Nikolai Wolff)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die Erkenntnisse aus dem Planungs- und Bauprozess der Prototypen wurden evaluiert und sind in die Entwicklung einer im Hinblick auf Konstruktion, Erschließung und Flächeneffizienz optimierten, seriellen Neuauflage geflossen.
Die Neuauflage ist in den Grundrissen variabler und bietet einen höheren Anteil an Wohnfläche. Die optimierte Gebäudehülle führt zu einem energetisch effizienteren A/V-Verhältnis. Aktuell befinden sich sieben Bremer Punkte in den Bremer Ortsteilen Neustadt, Kattenturm und Schwachhausen in Planung und Realisierung – weitere Gebäude sollen folgen.

Standortspezifische Akzentuierung des Eingangsbereichs (Foto: Nikolai Wolff)
Wohnküche Bremer Punkt 2 (Foto: Nikolai Wolff)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Der serienreife Bautyp ist das Resultat eines intensiven Entwicklungsprozesses und wurde in enger Kooperation mit der GEWOBA umgesetzt. Der Anspruch, passgenaue Bausteine für unterschiedliche Standorte und Anforderungen zu konzipieren, erfordert eine hohe Innovationsbereitschaft aller Planungsbeteiligten. Ein weiterer Aspekt ist der sensible Umgang mit der über Jahrzehnte gewachsenen Nachbarschaft. Von Bauherrenseite wurde jeder Standort frühzeitig in einem partizipativen Prozess auf lokaler Ebene kommuniziert und die neuen Wohnungen vorrangig Bestandsmietern aus dem Viertel angeboten. Dies hat maßgeblich zur Akzeptanz des Projekts beigetragen.

Blick aus dem Hof auf Bremer Punkt 2 (Foto: Nikolai Wolff)
Vorfertigung tragende Außenwand in Holz-Rahmenbauweise (Foto: Nikolai Wolff)
Lageplan Bremer Punkt 1 und 2 (Zeichnung: LIN Architekten Urbanisten)
Systembau aus Holz (Zeichnung: LIN Architekten Urbanisten)
Wohnbaukasten (Zeichnung: LIN Architekten Urbanisten)
Vielfältige Wohnmuster (Zeichnung: LIN Architekten Urbanisten)
Grundriss 1. Obergeschoss (Zeichnung: LIN Architekten Urbanisten)
Schnitt (Zeichnung: LIN Architekten Urbanisten)
Ansicht Süd-West (Zeichnung: LIN Architekten Urbanisten)
Bremer Punkt 1: August-Hinrichs-Straße 1A
Bremer Punkt 2: Friedrich-Wagenfeld-Straße 1A
Bremer Punkt 3: Karl-Lerbs-Straße 6A
Bremer Punkt 1-2 Fertigstellung Oktober 2016
Bremer Punkt 3 Fertigstellung Januar 2017
​28201 Bremen - Neustadt

Auftragsart
Wettbewerb «ungewöhnlich Wohnen» 1. Preis, 2011

Bauherrschaft
GEWOBA Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen

Architektur
LIN Architekten Urbanisten, Berlin
Giulia Andi, Finn Geipel, Philip König
John Klepel (Projektleitung), Tobias Schlimme, Mattis Krebs, Maja Lesnik, Ines Dobosic, Bruno Pinto da Cruz, Daniel Nissimov, Jan-Oliver Kunze, Anna Heilgemeir, Veljko Markovic

Fachplaner
Projektleitung: GEWOBA, Architektin Dipl.-Ing. Corinna Bühring
Ausführungsplanung: Kahrs Architekten, Bremen
Statik/Schallschutz: Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau, Sinzig
Technische Gebäudeausrüstung: Kahrs Architekten / EKM Partner, Bremen
Brandschutz: Dehne, Kruse Brandschutzingenieure, Gifhorn
Freiraumplanung: Atelier Schreckenberg, Bremen
Informationsdesign: S-T-A-T-E, Berlin

Bauleitung
GEWOBA / Kahrs Architekten, Bremen

Ausführende Firmen
Holzbau: ÖHS Ökologischer Holzbau Sellstedt
Stahlbetonarbeiten: Matthäi Gruppe

Produkte/Hersteller
Wärmedämmstoff für Gebäude: Mineralfaser, Fabrikat Rockwool, Typ Klemmrock
Nadelsperrholz, OSB gem. DIN 68705: OSB-Platten, Fabrikat Egger, Typ Eurostrand
Holzfaserdämmplatten: Fabrikat Steico
Dampfbremse: Fabrikat Ampack, Typ Sisalex 500
Luftdichtungsbänder: Fabrikat SIGA, Typ Rissan und Sicrall
Sockelabdichtung KSK-Dachbahn: BauderTec
Gipsfaserplatten: Fermacell
Gefälledämmplatten Dach: System Bauder, BauderPIRT
Außenputzsystem: Fabrikat: Sto
Fenster, IV 92: Firma Kathmann Holz-Bauelemete GmbH & Co.KG
Haustüren: Ganderkesee, Typ Katherm 80, Europa Lärche FSC
Luft-Wasser-Wärme-Pumpe: Nibe TM
Beschläge: Fabrikat Hoppe, Modell Tokyo
Fahrradhaus: Hersteller Gerhardt Braun, System Quantum

Energiestandard
KfW Effizienzhaus 55

Bruttogeschossfläche
Prototyp: 713 m²
Neuauflage: 800 m²

Gesamtkosten
k.A.

Auszeichnungen
Deutscher Architekturpreis 2017, Auszeichnung
DAM Preis 2018, Nominierung – shortlist

Fotos
Nikolai Wolff, Fotoetage, Bremen
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Wir beschäftigen uns seit längerer Zeit mit hybriden Bauweisen. Einfachheit und Flexibilität sind hier aus unserer Sicht entscheidend. Der Bremer Punkt ist als modulares Baukastensystem konzipiert und besteht aus überwiegend vorgefertigten Bauteilen. Damit können die Gebäude in kurzer Zeit und mit minimaler Baustelleneinrichtung errichtet werden, die Belastung des Wohnumfelds durch Baumaßnahmen wird auf ein Minimum reduziert. Die tragenden Außenwandelemente werden in Holzrahmenbauweise gefertigt. Die Deckenelemente können in Stahlbeton oder als optimiertes Holz-Beton-Verbundsystem ausgebildet werden.

Der konstruktive Holzbau bedient sich eines nachwachsenden, klimafreundlichen Baustoffs. Im Vergleich zur Massivbauweise wird von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung deutlich weniger Graue Energie verbraucht. Das energetische Konzept basiert auf einer hochgedämmten Gebäudehülle, die nahezu einem Passivhausstandard entspricht. Der Bremer Punkt erfüllt den Standard KfW Effizienzhaus 55.

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