Wasser marsch – eben nicht!

Autor:
ch
Veröffentlicht am
Nov. 24, 2010

Die Veränderung des Klimas ist nicht mehr zu leugnen. Dadurch stellen sich in der Planung neue Herausforderungen. Man kann mit spektakulären Entwürfen darauf aufmerksam machen. Man wird aber vor allem auch dort etwas ändern müssen, wo nicht die große Aufmerksamkeit sichergestellt ist – es lohnte sich, denn die Wirkung wäre groß. Ein Forschungsprojekt der Leibniz Universität Hannover zeigt, wie groß.
 
Es ist fast genauso oft zu hören wie die Hinweise auf die Veränderungen der Gesellschaft durch den demographischen Wandel: Das Klima verändert sich, die Durchschnittstemperaturen werden weiter steigen; die so genannten Starkregenereignisse werden zunehmen und es wird, verstärkt noch durch die Bautätigkeit des Menschen, öfter zu Hochwasser kommen. Das hat konkrete Folgen für Architektur, Städtebau, Freiraumplanung. Es ist ein grundsätzlich anderer Umgang mit den stehenden und fließenden Gewässern nötig. Spektakuläre Entwürfe für neue Städte, die im Wasser schwimmen und eher an Luxusyachten erinnern, gehen wohl an der Realität zu weit vorbei, als dass sie, wenn überhaupt, mehr als ein Hinweis auf ein prinzipielles Problem sein könnten – das sich aber nicht durch Neubau wird lösen lassen. Die durch den Klimawandel hervorgerufene Herausforderung stellt sich eben vor allem im Bestand. Grundsätzlich gilt, dass das Wasser nicht mehr wie früher, schnell abgeleitet, sondern möglichst lange zurückgehalten werden sollte, um zu größeren Teilen als in der Vergangenheit üblich zu versickern oder zu verdunsten. Überschwemmungsflächen lassen sich so gestalten, dass sie die meiste Zeit als öffentliche Grünräume Aufenthaltsqualitäten bieten, etwa indem Uferbereiche terrassiert werden. Im spanischen Zuera wurde ein neuer Uferpark angelegt in dem sogar eine Stierkampfarena im Falle eines Hochwassers geflutet werden kann. Aber auch wenn solche Verbesserungen an prominenten Orten hilfreich sind, vor allem, weil sie als bewusstseinsfördernde Projekte von kaum zu unterschätzendem Wert sind, ersetzen sie doch nicht die Alltagsarbeit in jenen Orten, die wenig oder gar nicht öffentlich wahrgenommen werden.
 
Alltagsarbeit statt schwimmender Städte
Etwa in Industriegebieten. Welch große Wirkung sich hier erzielen lässt, verdeutlicht das "Forschungsprojekt zur Optimierung des Regenwassermanagements bei VW Nutzfahrzeuge unter ökonomischen, ökologischen und planerischen Aspekten", das das Studio Urbane Landschaften am Institut für Freiraumentwicklung der Leibniz Universität Hannover im Auftrag der Volkswagen AG Nutzfahrzeuge/ Abteilung Umweltschutz (kurz VWN) kürzlich abgeschlossen hat. Eine exemplarische und wichtige Studie, weil großflächige Industrieanlagen stark in den Naturhaushalt eingreifen. Auf den versiegelten Flächen fließt in der Regel das Wasser direkt in die Kanalisation. Auch vom Gebiet, für das die Studie erstellt wurde, wird das Regenwasser von dem zu 95 Prozent versiegelten Werksgelände fast vollständig und ohne Verzögerung abgeleitet. Obwohl im Werk sonst hoch effizient mit Ressourcen umgegangen wird und eine hohe Recyclingquote etabliert wurde – hier bieten sich erhebliche Verbesserungspotenziale. Auch ökonomische: Die Regenwasserableitungsgebühren der Stadt Hannover sind seit 2004 um 42 Prozent gestiegen; VWN entrichtet derzeit eine Regenwassergebühr von etwa 800.000 Euro jährlich; das entspricht einem Kostenanteil von sechs Euro je Fahrzeug!
Das untersuchte Gebiet ist 134 Hektar groß, liegt im Stadtteil Stöcken im Nordwesten Hannovers, es grenzt an einen Grünzug, dessen 16 Hektar Teil des Untersuchungsgebiets sind. Dieser Grünraum ist für die Bewohner von Stöcken ein wichtiges Naherholungsgebiet. Durch ihn fließt der Stöckener Bach, in den ein Großteil des auf dem Werk von VWN anfallenden Regenwassers eingeleitet wird. Sein Pegel steigt auch deshalb nach Starkregenereignissen schnell an, während das Gewässer in der regenfreien Zeit oft komplett trocken fällt. Das Bachwasser wird durch die Einleitung zudem recht hoch belastet; im Einzugsbereich des Werks von VWN hat es die Güteklasse II-III (kritisch belastet).
 
Nutzen, drosseln, versickern und verdunsten lassen
In der Untersuchung wurden nun eine ganze Reihe von Vorschlägen entwickelt, wie man den Abfluss reduzieren, verzögern und zudem die Qualität des abfließenden Wassers steigern kann. Und, dies ist nicht zu vernachlässigen, wie durch integrierte Planung auch die Freiräume auf dem Gelände, die Bereiche vor dem Gebäude, die Parkplätze, die Aufenthaltsflächen für die Werksangestellten besser gestaltet werden können.
Die Vorschläge der Studie lassen sich in vier Kategorien einordnen: Die Nutzung von Regenwasser, dessen Versickerung und Verdunstung sowie die Drosselung des Abflusses. Regenwasser lässt sich in der Produktion wie in sanitären Einrichtungen nutzen, aber auch zur Kühlung verwenden. Es kann auf offenen Belägen, in Mulden, in Mulden-Rigolen- oder Rohr-Rigolen-Systemen versickern. Durch Rückhaltebecken, Mulden und Retentionsteiche, auch durch Gründächer lässt sich der Abfluss drosseln. Werden Becken und Mulden richtig bepflanzt, lassen sich Schadstoffe abbauen, es können attraktive Aufenthaltsbereiche für die Mitarbeiter geschaffen werden. Dabei wird auch der Verdunstungsanteil erhöht, vor allem, wenn die Wasseroberflächen möglichst groß sind; weitere Pflanzen oder Bäume könnten ihn zusätzlich steigern; das Kleinklima verbessert sich.
Rückhalte- und Verdunstungskonzepte lassen sich zudem besonders wirkungsvoll gestalterisch einbinden. Die Studie zeigt, wie hoch das Verbesserungspotenzial auch aus der Sicht der Freiraumplanung ist. Sichtbares Wasser und Pflanzen erhöhen die Aufenthaltsqualität der Freibereiche, Kunden und Besuchern wird ein freundlicher Empfang bereitet.
 
Große Wirkung, die sich rechnet
Tiefbeete, Retention auf dem Dach, dezentrale Muldensysteme, Retentionsbodenfilter, durchlässige Befestigungen, Wasserspeicher und mechanische Drosselelemente könnten zusammen eine außerordentliche Wirkung erzeugen. In der Studie wurde jeweils ermittelt, welche Kosten verursacht werden, welche Veränderungen sie nach sich ziehen, wie der daraus entstehende Gewinn zu bewerten ist. Es zeigt sich, dass die Regenwassergebühren bedeutend reduziert werden könnten, die Amortisationszeit kann im Einzelfall unter Umständen nur ein Jahr betragen; lediglich das Gründach auf dem Bestand wird aufgrund der hohen Kosten nur dann als wirtschaftlich erachtet, wenn damit auch Reparaturkosten gesenkt werden können. Die Abflussspitzen lassen sich im Einzelfall um bis 85 Prozent reduzieren, die Verschmutzung um bis zu 80 Prozent. Imagegewinn einerseits und Nutzungseinschränkung andererseits, Verbesserung des Arbeitsklimas und Stadtteilaufwertung lassen sich zwar nur qualitativ bewerten und nicht beziffern. Deutlich wird aber, dass ökonomische, ökologische und ästhetische Wirkung ineinander greifen könnten, wie hoch der Gewinn wäre, wenn die verschiedenen Optionen nicht einzeln verfolgt werden würden. Daher werden in der Studie verschiedene Kombinationsmöglichkeiten vorgeschlagen und untersucht. Es zeigt sich, dass, gemessen am Gewinn, der Aufwand überschaubar ist, und dass es sich lohnt, in vergleichbaren Gebieten ähnlich vorzugehen. Es ist zu hoffen, dass VWN zumindest einen Teil der Vorschläge weiterverfolgt und damit auch am Praxisfall ermittelte Werte gesammelt, ausgewertet und weitergegeben werden können, dass das Werk von VWN zu einem Vorbild für andere vergleichbare Fälle wird. ch
 
Forschungsprojekt zur Optimierung des Regenwassermanagements bei VW Nutzfahrzeuge unter ökonomischen, ökologischen und planerischen Aspekten

Auftraggeber:
Volkswagen AG Nutzfahrzeuge/ Abteilung Umweltschutz
Rolf Ohliger, Bernhard Leffers

Bearbeitung
:
Leibniz Universität Hannover
Prof. Dipl.-Ing. Antje Stokman
Dipl.-Ing. Christoph Wust
Dipl.-Ing. Uwe Klaus
Dipl.-Ing. Carsten Rindfleisch

Institut für Freiraumentwicklung
Fakultät für Architektur und Landschaft
Leibniz Universität Hannover
STUDIO URBANE LANDSCHAFTEN
Herrenhäuser Straße 2
30419 Hannover

Bearbeitungszeitraum: Februar 2009-März 2010