Nur eine Prise Energieeffizienz

Die Umsetzung des politischen Ziels, den Energieverbrauch bis 2020 um 20 % zu senken, läuft seit Jahren nur schleppend. Welchen Beitrag können Stadtplaner und Architekten tatsächlich leisten? Ein Plädoyer für den (Energie)-Entwurf.

Stand der Dinge oder: Der Wunsch ist der Vater des Gedankens

Rund 40 % der Endenergie in Deutschland werden im Gebäudesektor verbraucht, der Löwenanteil davon wiederum beim Heizen und Kühlen. Zwar hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten bei der Energieeffizienz bzw. beim Energiebedarf eines Gebäudes im Betrieb viel bewegt. Immerhin ist das Ziel der EU in naher Zukunft das sogenannte «Nearly Zero Energy Building» (NZEB). Doch das Problem bei dieser Rechnung ist, dass sie vor allem für Neubauten gilt, die letztendlich nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der gebauten Umwelt ausmachen. Der weitaus größere Teil sind die Bestandsbauten, bei denen die Sanierungsrate allerdings nur 0,9 bis 1,3 % liegt. Und das, obwohl über 40 % der Energie allein in bestehenden Ein- und Zweifamilienhäusern verbraucht wird. Hinzu kommt: Je effizienter die Gebäudehülle ist, desto höher ist auch ihr Anteil an grauer, also in der Herstellung der Baustoffe benötigter Energie. Dieser Anteil beträgt bei Standardgebäuden vielleicht nur 5 % und kann bei Passiv-, Null- oder Plusenergiehäusern schnell 40 % des kumulierten Energieaufwandes betragen. Außerdem tritt der sogenannte «Rebound-Effekt» ein: Die Wohnfläche pro Kopf steigt stetig, der Energiebedarf jedoch wird pro Quadratmeter angegeben, so wird die eingesparte Energie aufgrund eines höheren Flächenbedarfs wieder aufgehoben. Erreichen die Regelwerke, politische Vorgaben und Zielrichtungen also tatsächlich das, was sie erreichen sollen?
Einflüsse auf den Energiebedarf in Gebäuden (Bild: Heide Schuster) 
Einflussgrößen auf den Energiebedarf
Es gibt einige Parameter, die den Energiebedarf eines Gebäudes maßgeblich beeinflussen: Einer der wichtigsten Faktoren ist die Klimazone, in dem gebaut werden soll. Denn nach ihr entscheidet sich, welche Gebäudeorientierung sinnvoll ist, welche Verschattungsmaßnahmen benötigt werden und welchen energetischen Einflussgrößen ein zu planendes Gebäude unterliegt. Auch der Standort (Stadt oder Land, Seeklima oder Bergklima, etc.) spielt eine wichtige Rolle, da durch ihn das spezifische Klima zusätzlich beeinflusst wird.
Städtischer Wärmeinseleffekt (Bild: Heide Schuster) 
Die zweite wichtige Einflussgröße ist der Städtebau. Hierbei geht es nicht nur um solares Bauen, also der Nutzung von Sonnenenergie für Strom- und Wärmeproduktion, sondern um ein dem Klima angepasstes Durchlüftungs- und Wärmemanagement in den Städten, mit dem Ziel, den städtischen Wärmeinseleffekt (stärkere Erwärmung von hoher Dichte im Gegensatz zum Umland) zu begrenzen. Dieses Mikroklima bestimmt nicht nur den Energiebedarf eines Gebäudes entscheidend mit, sondern wirkt sich auch auf den Komfort aus. So zeigen etwa die wissenschaftlichen Untersuchungen des Lawrence Berkeley National Laboratory (USA), wie sich die städtische Erwärmung auswirkt, beispielsweise im Bezug zur Schlafqualität oder der Entstehung von Sommer-Smog.
Dichte10 – Innerstädtische Bebauung Shenzhen, China 2001 (Bild: Heide Schuster) 
Die Kubatur, die Fassaden und die technische Gebäudeausrüstung sind als Einflussgrößen allgemein bekannt. Entsprechende Werte zur Senkung des Transmissionswärmebedarfs (Energieverlust über die Gebäudehülle) gibt die Energieeinsparverordnung vor. Ergänzt werden diese Vorgaben von technisch effizienten Anlagen. Weit weniger bewusst ist vielen jedoch der Einfluss des tatsächlichen Gebäudebetriebs sowie des Nutzers selbst auf den Energieverbrauch, durch den der wahre Energieverbrauch in einem Gebäude oftmals um 70 % über dem berechneten Wert liegt. Welche dieser Einflussgrößen spielen bei der Energieeffizienzdiskussion also eine Rolle?
Mikroklimaoptimierung in der Planung (Bild: WSGreenTechnologies) 
Stadtenergie oder der Wert des Städtebauentwurfs
Im Städtebau schlummert ein hohes Potenzial für die Energieeinsparung. Welchen Einfluss die städtebauliche Optimierung dabei haben kann, zeigt dieses Beispiel: In Dubai sollte ein neues Stadtquartier mit einer Bruttogeschossflächen von ca. 1 Mio. m² entstehen. Eine genaue Kenntnis von den klimatischen Bedingungen an diesem Ort war dabei unabdingbar, da man es hier mit extrem hohen Außentemperaturen und einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit zu tun hat. Deshalb wurde hier schon der städtebauliche Entwurf mikroklimatisch untersucht und durch die gewonnenen Erkenntnisse optimiert. Die Idee, die dem Konzept dabei zugrunde liegt, ist so einfach wie sinnvoll: Dem Klima Rechnung tragend wurde ein sehr dichtes städtebauliches Setting entworfen, welches weitestgehend Nord-Süd ausgerichtete Straßen aufweist. Durch die Dichte und die Orientierung werden die solare Einstrahlung auf die Fassaden und Straßen minimiert und so die später in den Gebäuden auftretenden Kühllasten reduziert. Außerdem werden der Wärmeinseleffekt und die Aufwärmung der versiegelten Flächen durch die Eigenverschattung minimiert. So konnte der Kühlenergiebedarf in den späteren Gebäuden bereits durch den Städtebau um über 10 % gesenkt werden. Und das völlig ohne technische Maßnahmen.
Von der Idee zum Projekt (Bild links: Dirk Weise / pixelio.de, Bild rechts: Werner Sobek Stuttgart) 
Berechnung versus Realität – Rechnen wir richtig?
Zurück nach Deutschland: Nach gültiger Energieeinsparverordnung (EnEV) darf hier ein Gebäude nur so viel Energie benötigen wie das dazugehörige Referenzgebäude. Berechnet wird dabei der Energiebedarf für Heizung, Kühlung, Lüftung, Warmwasser und Beleuchtung. Im Prinzip handelt es sich also um eine Art Standard-Rechenverfahren, das Gebäudetypologien vergleichbar machen soll. Das klingt zunächst vernünftig. Wie aber sieht dieses virtuelle Referenzgebäude aus, das parallel mitgeführt wird und wichtige Parameter festlegt? Ein optimierter Architekturentwurf, also eine effizientere Kubatur, oder ein abweichendes Klima, werden bei diesem Verfahren nicht erfasst. Dabei wäre doch gerade eine energetische und architektonische Optimierung des Entwurfs und ein entsprechender Betrieb sinnvoller als ein Entwurf, der lediglich hocheffizient ausgeführt wird und nur so die Vorgaben der EnEV erfüllen kann.
REWE Green Building Markt (Bild: e² Energieberatung Düsseldorf)  
Der frühe Vogel fängt den Wurm
Deutlich wird das am Beispiel eines «Supermarkts der Zukunft», der von Architekten entworfen und frühzeitig in der Planung mit Energieingenieuren und Nachhaltigkeitsberatern optimiert wurde. Das Ergebnis: Ein tageslicht-erhellter Supermarkt, im Wesentlichen ein Holzbau und betrieben weitgehend mit regenerativen Energien. Das Spannende an diesem Projekt: Nach EnEV spart der Supermarkt 29 % Energie gegenüber besagtem Referenzmodell ein. Werden jedoch die realen Rahmenbedingungen in einer thermisch dynamischen Gebäudesimulation zu Grunde gelegt und mit der konventionellen Bauweise eines Supermarktes verglichen, so liegt die Reduktion des Energiebedarfs bei beachtlichen 42 %. Weit über 10 % der tatsächlichen Einsparung sind hier also nur durch den richtigen und optimierten Architekturentwurf entstanden.
Energetische Berechnungen. Architekten: Koch Architekten Düsseldorf, Energieplaner: e² Energieberatung Düsseldorf, DGNB-Auditorin: Heide Schuster, damals WSGreenTechnologies (Bild: Heide Schuster nach Berechnungen der e² Energieberatung Düsseldorf) 
Interdisziplinarität und Standardleistungsbilder
Die beiden Beispiele zeigen, dass sowohl im Städtebau als auch in der Gebäudeplanung erst durch das frühzeitige Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen das volle Potenzial der Energieeinsparung entfaltet werden kann. Die vorherrschende Wettbewerbsstruktur allerdings spiegelt diese Notwendigkeit bisher selten wider. Der Entwurf wird honoriert, Leistungen von Ingenieuren und Beratern werden bestenfalls benannt, spätere Aufträge sind ungewiss. Dies ist einer der Gründe für die häufig viel zu späte Integration von Fachexperten in Projekten. Die Honorarordnung geht nur bedingt auf das integrale Planen und die energetische Optimierung ein: Leistungen wie die Mikroklimaoptimierung im Städtebau oder eine Optimierung von Gebäuden mittels Simulation sind nicht verankert, sondern werden – wenn das Interesse beim Planungsteam und beim Bauherr überhaupt vorhanden ist – als Zusatzleistungen angeboten und vom Bauherren beauftragt. Oder eben nicht.

Planung ≠ Nutzung ≠ Lebenszyklus: Ein Plädoyer für den (Energie)-Entwurf
So positiv die Anstrengungen zur Energieeffizienz in Gebäuden also zu werten sind, so lückenhaft ist deren Betrachtungsweise. Die Optimierung des städtebaulichen Entwurfs über die mikroklimatische Betrachtung wird selten genutzt. Im Architekturwettbewerb werden Vorgaben zum Energiebedarf gemacht, aber nicht vergleichend über die Entwürfe betrachtet, trotz des energetischen Optimierungspotenzials. Beim Bestand würde eine großflächige Sanierung zwar eine erhebliche Energieeinsparung in der Nutzung nach sich ziehen, jedoch wird der Energiebedarf für die Herstellung etwa der zusätzlich notwendigen Wärmedämmung nicht berücksichtigt. Die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus inklusive Herstellung, Betrieb und Rückbau ist also überfällig und führt gesamtenergetisch zu einem besseren Ergebnis. Die richtigen Berechnungsverfahren existieren zwar, werden bisher aber nur zum Zwecke der Zertifizierung nach DGNB oder BNB abgefragt.

Werden die Einsparpotenziale mit aktuellen Mitteln vollständig genutzt? Die Antwort muss lauten: Nein. Denn Honorarbilder, Betrachtungsgrenzen, Wettbewerbsverfahren und Berechnungsmethoden müssen angepasst werden. Welchen Beitrag können Stadtplaner und Architekten dabei leisten? Ganz einfach: Ihre Entwürfe energetisch bereits in frühen Phasen optimieren, um das volle Potenzial zu entfalten.

Heide Schuster ist Architektin und Inhaberin des BLAUSTUDIO – Nachhaltigkeit in Architektur und Städtebau in Stuttgart. Sie ist Professorin für Energiedesign an der Frankfurt University of Applied Sciences und Auditorin für Gebäude und Stadtquartiere nach DGNB.


Literatur
- Broschüre «Mehr aus Energie machen. Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz». BMWi Dezember 2014
- Vortrag DENA Stephan Kohler. Jahrhundertaufgabe Energiewende: Wo stehen wir? Einsatz von Wärmedämmung im Sanierungs- und Neubaubereich.11. September 2012, Berlin
- Gröner, Malte: «Analyse unterschiedlicher Handlungsstrategien des CO² minimalen Bauens». Diplomarbeit an der Universität Stuttgart 2010.
- Hegger, Manfred; Fafflok, Caroline; Hegger, Johannes; Passig, Isabel: «Aktivhaus – das Grundlagenwerk». Callwey Verlag München 2013.
- Forschungsbericht: «EVA – Evaluierung von Energiekonzepten für Bürogebäude». TU Braunschweig, Institut für Gebäude- und Solartechnik, gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2007.
- Hegger, Manfred; Fuchs, Matthias; Stark, Thomas; Zeumer, Martin: «Energie Atlas – Nachhaltige Architektur». Birkhäuser GmbH 2007.

Links / Weitere Informationen
- Wieviel Technik will der Mensch?
- über B10
- Grenzen des Zögerns
- Plädoyer für einen Paradigmenwechsel - Sparen oder gewinnen?

Autor:
Prof. Dr.-Ing. Heide G. Schuster
Veröffentlicht am
Juli 8, 2015