Vom Möbel zur Wand

Autor:
sh
Veröffentlicht am
Mai 9, 2012

Bei der Instandsetzung von Gebäuden ist es wichtig, sich über die alten Materialien, Handwerkstechniken und Bauteile zu informieren. Oftmals trifft man dabei auf erhaltenswerte Originalsubstanz, deren Wert sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließt, wie millimeterdünne Furniere edler Hölzer.
 
Edle Holzoberflächen waren in den verschiedenen Epochen der Baugeschichte immer wieder en vogue. Wer im Mittelalter sein Vermögen eindrücklich zur Schau stellen wollte, leistete sich kunstvoll geschnitzte Möbel mit wertvollen Einlegearbeiten (Intarsien) aus seltenen Hölzern und später sogar ganze Wand- oder Deckenbekleidungen, deren Oberflächen von Maserungen seltener Hölzer geprägt waren. Diese wurden als dünnes Furnier auf minderwertiges Trägermaterial in Form von Sperr- oder Massivholz aufgeleimt. Bereits zur Zeit der alten Pharaonen um 2.900 v. Chr. beherrschten Handwerker die Technik, aus den mühsam herbeigeschleppten Stämmen seltener Bäume möglichst dünne Holzbrettchen zu schnitzen oder zu sägen, um damit die Oberflächen von Möbeln und Sarkophargen zu schmücken oder zierliche Kunstarbeiten anzufertigen.
Auch andere Hochkulturen wie die Griechen und Römer schätzten den Anblick seltener Holzmaserungen, die sich aus begehrten Holzarten gewinnen lassen, indem man die Baumstämme in wenige Millimeter dünne Scheiben schneidet und diese zu einem Bild fügt oder daraus ein schmückendes Ornament fertigt. Erste Anwendungen von Furnieren beschränkten sich jedoch auf Intarsienarbeiten (aus dem italienischen intarsiare, das heißt "einlegen"), entweder in massive Holzflächen eingesetzt oder aufgeleimt; erst im Mittelalter ab dem 13. bis 14. Jahrhundert war es möglich, von Hand etwas größere Furnierblätter aus den Stämmen zu sägen, um damit Kassettendecken und kleinteiligen Wandvertäfelungen in Repräsentationsräumen von Schlössern und Rathäusern ein edles Holzbild zu verpassen.
 
Es zeugt von fachlicher Unkenntnis und missachtet den hohen materiellen Wert, Furnier vorschnell als billige Holztapete abzuqualifizieren. Denn die Auswahl geeigneter Stämme, die Herstellungstechniken und auch die Verarbeitung erfordert ein ausgesprochen großes Knowhow. In manchen rustikal eingerichteten Gaststätten oder Alphütten zeugen tiefe Risse und Verwerfungen in den Tischplatten davon, dass es oftmals überhaupt nicht sinnvoll ist, beispielsweise eine ein Meter breite und mehrere Zentimeter dicke Platte quasi am Stück "aus einem Stamm" zu sägen. Denn das Holz schwindet und verformt sich auch nach der Verarbeitung. Selbst massive und beidseitig mit dünnen Furnieren "abgesperrte" verleimte Platten oder Rahmen neigen zu Rissen und Verkrümmungen, weshalb schon vor dem 19. Jahrhundert großflächige Platten aus mehreren kreuzweise übereinander gelegten und verleimten Furnieren hergestellt wurden (Sperrholz). Deren Oberflächen hatte man am Ende mit den gewünschten edleren und dünneren Furnieren belegt. Aus diesem Vorgang entstammt auch die Bezeichnung "Furnier" (aus dem französischen fournir, übersetzt: "mit etwas belegen").
Bis in die Zeit der Renaissance beschränkte sich das Verarbeiten der mühsam mit Sägen oder scharfen Messern gewonnenen kleinen Furnierblättchen auf das Herstellen von Intarsien – die üblichen Furnierdicken lagen damals bei fünf bis sieben Millimetern. Damit schmückte man die wenigen, oft schwergewichtigen Möbel, die es damals gab. Wer es sich leisten konnte, bedeckte die Sichtflächen mit Furnieren edler Hölzer. Mit der Erfindung der Laubsäge im 15. Jahrhundert bekamen die Kunsttischler ein Werkzeug an die Hand, das es ihnen erstmals ermöglichte, feingliedrige Ornamente aus den Furnierbrettchen auszusägen und so die Intarsienkunst weiter zu verfeinern. Fortschritte in der handwerklichen Furniersägetechnik ermöglichten immer dünnere Furniere, die zur Zeit des Barock nur noch zwei bis drei Millimeter maßen.
 
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hielten die ersten mit Dampfkraft betriebenen Furnier-Kreissägen Einzug in die Werkstätten, zugleich entwickelten sich mit Furnierschälmaschinen und Furniermessermaschinen ganz neue Herstellungstechniken. Damit konnten großformatige Furnierblätter in großen Mengen hergestellt werden – ein neuer Industriezweig war geboren. Die Vorteile der neuen Techniken Schälen und Messern lagen in dünneren Furnierdicken um einen Millimeter, vor allem aber reduzierte sich der Materialverlust erheblich, der bis dato 50 Prozent hatte erreichen können. Andererseits müssen die entrindeten und auf Maß zugerichteten Furnierblöcke vor dem Messern oder Schälen in großen Wasserbecken gedämpft oder gekocht ("plastifiziert") werden, um einen qualitativ hochwertigen Schnitt zu ermöglichen. Dieser Arbeitsgang wirkt sich auf die Holzfarbe aus, was zum Beispiel bei der ursprünglich weißen Buche dazu führt, dass sie beim "Erweichen" im heißen Wasserbad den bekannten lachsfarbenen bis rötlichen Ton annimmt.
 
Die Furniertechnik ist seit Alters her eine hohe Kunst – dass die Branche den Terminus "Echtholzfurniere" einführen musste, um sich von den konkurrierenden hochwertigen Furnier-Drucktechniken abzugrenzen, zeigt, wie eng und preisorientiert der Markt geworden ist. Doch das Holz-, nein ..., pardon: Echtholzfurnier wird immer das Original bleiben, das in seiner einmaligen Erscheinung unerreichbar und damit wertbeständig bleibt. Nicht zuletzt finden sich deshalb noch heute in teuren Yachten und Luxusautomobilen edle Echtholz-Furnieroberflächen anstatt bedruckter Schichtstoffe. Den Anhängern solcher endlos kopierbaren Materialien sei gesagt: Hochwertige Furnieroberflächen stellen keine billige Holztapete dar, sondern zeigen Holz in seiner schönsten Form und wirken als Materialveredler erster Güte. sh

Danksagung:
Besonderen Dank an Axel Groh und Volker Lück für die Informationen und das Bildmaterial. Schorn & Groh beherbergt bei Karlsruhe das größte Furnierlager Europas, und Volker Lück ist ein erfahrener Kunsttischler, der in jeder Epoche mit seinem Fachwissen zuhause ist.

Literatur und Quellen:
[1] Informationsschrift "Furnier im Innenausbau", herausgegeben von der Initiative Furnier+Natur e. V. (IFN), Bad Honnef 2011
[2] Kollmann, Franz, Furniere, Lagenhölzer und Tischlerplatten, Springer Verlag, Berlin Göttingen Heidelberg 1962
[3] Klarmann, Ulrich, Intarsien, Ideen für Einlegearbeiten aus Furnier, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 1992
[4] Bittner, Joachim, Furniere – Sperrholz Schichtholz, Band 1 und 2, Springer Verlag, Berlin Göttingen Heidelberg 1951