Mehr Europan bitte!

Autor:
ch
Veröffentlicht am
März 7, 2012

Nach wie vor ist Europan der größte internationale Ideenwettbewerb für Architektur und Städtebau für junge Architekten. Nicht nur angesichts der Entwicklung im Wettbewerbswesens ist er wertvoller denn je. Seine Modalitäten bieten einzigartige Potenziale, aktuelle Diskussionen zu bereichern.
 
In den letzten Jahren sind die Möglichkeiten für den Nachwuchs, sich über Wettbewerbe zu profilieren, deutlich gesunken. Der Attraktivität von Europan schadet es gleichwohl nicht, dass ein Wettbewerbssieg nicht zwingend, ja nicht einmal wahrscheinlich mit einem Auftrag verbunden ist: 1826 Teams reichten in der elften Auflage Arbeiten für die über 17 Länder verteilten 49 Wettbewerbsareale ein; seit kurzem stehen die Ergebnisse fest. Aber abgesehen von der Teilnehmerzahl könnte die Aufmerksamkeit für Europan höher sein. Auch wenn, anders als von der AKNW angekündigt, weitere Ausstellungen der für die Standorte in Deutschland und Polen eingereichten und ausgezeichneten Arbeiten in Vorbereitung sind, wäre Europan mehr Resonanz zu wünschen. Die Niederlande hatten sechs Standorte ausgewiesen – in Deutschland sind es nur fünf, und von denen liegen einmal mehr die meisten in Bayern: Selb, Würzburg, Ingolstadt. Wettbewerbsareale lagen außerdem in Wittstock/ Dosse und Ibbenbüren. Der Mut der kleinen Städte, sich auf die Arbeit von jungen, möglicherweise ausländischen Architekten und auf neue Ideen einzulassen, kann nicht hoch genug gepriesen werden. Selb und Ingolstadt sind bereits zum zweiten Mal dabei. Aber warum sind Städte wie Hannover, Stuttgart, Frankfurt, Hamburg oder Düsseldorf nicht vertreten? Auch in diesen Städten könnten die Diskussionen über Architektur und Städtebau einen Schuss Nachwuchsesprit gebrauchen; auch sie, gerade sie sollten sich für Baukultur einsetzen, in dem sie die Nachwuchsinitiative unterstützen.
 
Die Ergebnisse
Nun liegen also die Ergebnisse vor, und damit stellt sich die Frage, ob sie die Forderung nach höherer Aufmerksamkeit rechtfertigen. Ja, das tun sie. Sensibel haben sich die Gewinner in Selb und in Wittstock mit dem historischen Stadtgefüge auseinander gesetzt. Präzise und in Nutzung, Form und Maßstab differenzierte Eingriffe vermitteln, dass mit einer räumlichen Stadtvorstellung auch mit kleinen Bausteinen, mit gezielten Eingriffen sinnvoll agiert werden kann. Stadterneuerung der dabei vorgeschlagenen Art geht nicht von einer Idee einer vermeintlichen Heilung aus, die idealisierten Bildern der Vergangenheit folgt. Der Sieger in Selb kombiniert dabei unterschiedliche Bausteine zu einem dichten Patchwork, das helfen könnte, neue Beziehungen aufzubauen, in Wittstock liegt der Schwerpunkt der siegreichen Arbeit stärker auf einer Fortschreibung der Stadtstruktur.
Ingolstadt und Würzburg stellen vielleicht die schwierigsten Aufgaben. In Ingolstadt waren Vorschläge für 75 Hektar einer ehemalige Raffinerie zu liefern. Der Sieger setzte auf die Signalwirkung von großen Bauten, die mit Hilfe eines Landschaftsparks funktional wie formal ein Netz aufspannen, das sich sukzessive entwickeln kann.
 
In Würzburg war über einen Teil eines 135 Hektar großen Kasernenkonversionsgebiets nachzudenken. Die beiden mit einem Ankauf geehrten Teams (ein Preis wurde nicht vergeben) hielten sich nicht daran, lediglich einen Vorschlag für die ein Hektar große Projektfläche zu unterbreiten. Die Arbeit "Helianthus" eines spanischen Teams schlug eine 1,8 Kilometer lange, stark gewundene Wohnschlange vor, die das Thema der landschaftlich herausragenden Lage in eine floral anmutende Großform transformierte. Ein Team aus München kombinierte einen englischen Landschaftspark mit einer barocken Anlage, nimmt damit stadtgeschichtliche wie im Ort selbst angelegte Formationen auf; so wurde eine ehemalige Landebahn zur auf die Marienfeste ausgerichteten Prachtachse umgedeutet.
Etwas unscheinbarer als diese Arbeiten mutet das Ibbenbürener Siegerprojekt an. Für zwei Konversionsflächen am Rande der Innenstadt, die durch das Flüsschen Aa verbunden sind, war ein Gesamtkonzept zu finden. Verdichtete Wohntypen, die um gemeinsame Höfe organisiert sind, haben die Jury überzeugt.
 
Ebenfalls in Düsseldorf zu sehen sind die Beiträge zum Gebiet, mit dem sich Warschau beteiligte. Auch die hierbei ausgezeichneten Arbeiten verdienen einen genauen Blick; auch diese Aufgabe war keine leichte. Für ein 24 Hektar großes ehemaliges Industrie-Areal sollten Vorschläge gemacht werden, wie sich die Transformation in ein multifunktionales Wohnquartier bewerkstelligen lässt. Da das Gebiet in dem Stadtteil liegt, der nicht zuletzt durch die Nähe zum neuen Warschauer Stadion, in dem im Sommer EM-Spiele ausgetragen werden, unter hohem Entwicklungsdruck liegt, sollte das Augenmerk auf eine stabile soziale Entwicklung gelegt werden. Die siegreiche Arbeit schlägt verschiedene Betrachtungsmaßstäbe vor, die aufeinander bezogen werden und für sich jeweils sorgfältig ausgearbeitet wurden. Der mit einem Ankauf gewürdigte Beitrag arbeitet auf der Basis einer ausführlichen Analyse die Spezifika des Areals heraus und entwickelt daraus eine sehr fein austarierte Strategie.

Spagat zwischen Debatten- und Realisierungstauglichkeit
In den zurückliegenden Europan-Wettbewerben wurde oft die Kritik geäußert, dass in Deutschland zu wenige der Wettbewerbssieger in eine Realisierung münden. Die Anzahl der Wettbewerbssieger, die tatsächlich bauen durften, ist nach wie vor dürftig. Ob viele der teilnehmenden Städte ihre eingegangene Verpflichtung nicht ernst genug nehmen und eher auf den PR-Effekt einer Teilnahme schielen? Die in diesem Jahr ausgezeichneten Arbeiten müssen sich größtenteils nicht den Vorwurf gefallen lassen, sie seien für eine Umsetzung nicht geeignet oder vor Ort nicht vermittelbar. Statt der Arbeiten, die grundsätzliche Fragen in unkonventionellen Ansätzen stellten und die Aufgaben so interpretierten, dass sie den Diskurs bereicherten, überwiegen nun die pragmatischen, die sorgfältig durchgearbeiteten Beiträge, deren Umsetzung man sich ohne weiteres vorstellen kann. Vor allem der sensible Umgang mit Fragen der Stadterneuerung macht neugierig darauf, ob eine Verwirklichung gelingt.
Der Europan Wettbewerb hat allerdings seinen Wert nicht nur daraus bezogen, dass er jungen Architekten den Weg in die Realisierung ebnete, sondern auch darin, grundsätzliche Diskussionen über unser Verständnis von Stadt und Wohnen zu stellen und damit erst den Weg für neue Herangehensweisen zu öffnen.
 
Dies darf nicht aus den Augen verloren werden. Gerade weil andere Wettbewerbe sie kaum noch bieten, ist es sinnvoll, die Offenheit der Aufgabenstellung, die Möglichkeit einer freien Interpretation der Aufgabe zu erhalten. Die Trennung zwischen einem Betrachtungsgebiet, in das sich die eigentliche Aufgabe fügen soll und dem eigentlichen Projektgebiet, für das Vorschläge erwartet wurden, darf vielleicht sogar noch offener gehalten werden.
Vielleicht gilt es auch darüber nachzudenken, ob beide Qualitäten – Realisierungstauglichkeit und Diskursförderung – gezielt eingefordert werden können und den Teilnehmern die Aufgabe zu stellen, nachzuweisen, wie beides miteinander vereinbar und wie sie sich aufeinander beziehen lassen könnten. In diesem Sinne darf auch über das Thema nachgedacht werden. 2011 lautet es "Städtische Gebiete und Lebensmodelle im Einklang. Welche Architektur für nachhaltige Städte?" – das ist ebenso spröde und allgemein wie die Untergruppierung in Themen "Nutzung", "Identität" und "Konnektivität". Eine etwas schwungvollere, griffigere und provozierendere Aufgabenstellung darf man sich zum Ziel setzen, denn gerade die verbreitete Verwässerung und Vereinfachung, etwa energetischer und ökologischer Themenkomplexe braucht Diskussionsbeiträge, die provozierend zuspitzen, damit die Debatte dynamischer und in der Breite offensiver geführt wird, als das im Moment der Fall ist. Oder anders ausgedrückt: wir brauchen einfach in jeder Hinsicht mehr Europan. ch
Die Ausstellung in Düsseldorf zeigt neben den Siegern für Warschau und die deutschen Standorte in kleinerer Form alle zum jeweiligen Standort eingereichten Beiträge, außerdem die deutschen Teams, die für andere Standorte Arbeiten eingerecht hatten und dabei erfolgreich waren.

Der Katalog "Europan 11 – Die Ergebnisse in Deutschland und Polen" kann beim deutschen Europan-Sekretariat bestellt werden. Er kostet inklusive Versand 15 Euro.

Auf der Europan-Internetseite sind die in Deutschland und Polen siegreichen Beiträge dokumentiert. Zurückliegende Wettbewerbe sowie aus Wettbewerben hervorgegangene Realisierungen sind dort ebenfalls zu finden.