Naturtheater Energiewirtschaft?

Autor:
Wolfgang Kil
Veröffentlicht am
Feb. 22, 2012

Windmühlen höher als der Kölner Dom, hektargroße Solarfelder, ganze Landkreise verschwunden unter Maismonokultur. Es ist gut, dass endlich über das Thema "Energiewende und Kulturlandschaft" geredet wird. Bei der Stiftung Baukultur, in der Bayerischen Architektenkammer oder auf Workshops des Bundesbauministeriums – überall diskutieren Experten darüber, wie eine postfossile Energiewirtschaft sich auf unsere Landschaften auswirken könnte. Rechtzeitig zur neuen Debatte ist auch ein Ratgeber "Windenergie und Landschaftsästhetik" erschienen – gerechtfertigt ist ein offener Blick auf ein eigentlich altes Thema.
 
Gewohnt kämpferisch wurde am Bauhaus bereits ein Manifest verfasst, die "Dessauer Thesen zur Energielandschaft 3.0". "Die Energiewende", so Marta Doehler-Behzadi auf dem Workshop "Infrastruktur in der Landschaft" des BMVBS, "wird sich in den offenen Landschaften in einem Maße niederschlagen, das man gegenwärtig wahrscheinlich noch nicht einmal in Umrissen erahnt. Dies muss heute als Gestaltungsaufgabe begriffen werden, nicht erst dann, wenn alle Hochleistungsnetzwerke, Biogasanlagen und Windräder gebaut sind."
Dem Workshop war ein griffiges Motto gesetzt: "Raus aus dem Land der Sachlichkeit!" Diese Wortwahl ist heikel, hat doch der populär lancierte Gegensatz von Sachlichkeit und Schönheit in den Ästhetikdebatten seit Beginn der Industrialisierung immer wieder auf seltsame Umwege geführt.
 
Kunstlandschaften Wer etwa mit der Bahn von Berlin zu den Inseln Usedom oder Rügen fährt, darf sich zwischen Angermünde und Prenzlau auf ein überraschendes Schauspiel freuen: Da beginnen auf einmal die Gleise um die sanften Hügel der Uckermark zu schwingen, hie und da von Waldrändern gesäumt, die sich himmelweit öffnen, sobald zwischen Hecken und Feldern ein glitzernder See zum Vorschein kommt. Diese Panoramatour ist kein Zufallstreffer verspielter Landvermesser, sie ist eine Kunstlandschaft von höchstem Rang: Kein Geringerer als Peter Josef Lenné hatte hier als Berater der zuständigen Grundbesitzer den Versuch unternommen, das neue Technikphänomen Eisenbahn mit dem Ideal einer parkähnlichen Agrarflur zu versöhnen. Die vom Landschaftskünstler entworfene Streckenführung sollte den Zugpassagieren als "Reiseflaneuren" ein Naturtheater bieten. Dass technische Erfindungen niemals von sich aus zu gültigen Gestaltbildern führten, kann man an den Kindertagen des Automobils wunderbar studieren. Noch heute bezeugen zahllose Umspannstationen im Heimatstil, wie man einst das Neuzeitwunder Elektrizität regionaltypisch einzubinden hoffte. Der Deutsche Werkbund wurde eigens gegründet, um für die Vielfalt an Innovationen, die das Leben damals einschneidend veränderten, sinnlich angemessene Erscheinungen zu finden. Schließlich trat die Moderne an, im industriellen Neuland einen eigenen Schönheitsbegriff durchzusetzen: funktionsbetont, klar und dekorfrei – die Neue Sachlichkeit.
 
Es ist noch nicht lange her, da wurde die Produktivität einer Industriegesellschaft an Zahl und Höhe ihrer Schornsteine gemessen, wobei der meiste Stolz den gewaltigsten Werken mit der am weitesten sichtbaren Rauchfahne galt. Heute verschwinden im Zuge des Strukturwandels die Schlote aus den Landschaften wieder, was gemeinhin noch als Zeichen des Niedergangs gilt. Dass an die Stelle alter Industrieareale nun ein neuer Typus von Produktionslandschaften tritt, wird kaum oder gar nicht thematisiert: Windfarmen oder Solarplantagen sind keine mutwilligen Aggression gegen beschauliche Landschaft, sondern es sind Kraftwerke. Von dort kommt jetzt unser Strom!

Energie und Ästhetik Anders als bei der "freien Natur" gilt für Kulturlandschaften, dass man sie nur dann als wirklich schön erlebt, wenn sie aus rationaler und moralischer Sicht wünschenswert erscheinen. Rationales, moralisches und ästhetisches Urteil müssen im Einklang sein. Wohl wird alternative Energiegewinnung als Technologie begrüßt, ihre Figurationen sind im Alltag angekommen, doch als direkte Nachbarn eher unerwünscht. Für ihre gesellschaftliche Akzeptanz sind funktional-rationale Argumente vorhanden, ästhetische Argumente kommen bei der Anlagenplanung regelmäßig zu kurz: So die (verknappte) Ausgangsthese von Sören Schöbel von der TU München, der einen Ratgeber "Windenergie & Landschaftsästhetik" verfasst hat, in dem es immer wieder um die eine Frage geht: Ab wann werden technische Innovationen in der Kultur-Landschaft nicht nur notgedrungen toleriert, sondern als sinnstiftend erkannt und bejaht? Im ewigen Konflikt zwischen Einfügung und Kontrast bekennt sich der Landschaftsprofessor unverkennbar zur ersteren: Er will Planung "als Teil eines historischen Prozesses verstehen", also "gewachsene Strukturen wertschätzen und fortschreiben." Ihm geht es nicht darum, "neue Charakterlandschaften zu kreieren oder 'landschaftstypische' Windturbinen zu designen, sondern darum, das neue Element intelligent in die bestehende Landschaft 'einzuschreiben'". Kein Zweifel, dem Kenner bieten sich naturräumliche Anknüpfungspunkte in großer Zahl, und doch bleibt ein resignatives Restgefühl. Kann man die Welt retten ohne selbstbewusste Gesten? Ist die Energiewende als Epochenprojekt keinerlei Zeichen wert?
 
Kohlekraftwerke der jüngsten Generation, etwa "Schwarze Pumpe" in Brandenburg oder Lippendorf bei Leipzig, ähneln architektonisch immer mehr riesenhaften Designobjekten. Dort traten Karosserieschneider an, um ein Auslaufmodell noch mal richtig zu frisieren. Echte Zukunftstechnologien sollten von solch "warenästhetischer" Logik lernen. Weil die Standorte alternativer Energiewirtschaft einerseits in immer gewaltigere Dimensionen vorstoßen, andererseits gerade in Siedlungsnähe ihren Strukturvorteil "Dezentralität" entfalten, muss die ordnende, gestaltgebende Hand des Planers unbedingt deutlicher zur Wirkung kommen. Also Kurzumtriebsplantagen als Gartenkunstwerke? Windfarmen als Land-Art-Inszenierung? Die Phantasie wartet auf ihre Entfesselung. Wolfgang Kil