Wohnhaus am Rebhang in Dielsdorf

Raumoffen

Thomas Geuder
11. Oktober 2016
In Dielsdorf bei Zürich haben L3P Architekten aus dem benachbarten Regensberg ein Wohnhaus mit nahezu komplett transparenter Fassade erbaut. (Bild: Vito Stallone / Glas Trösch)

Projekt: Wohnhaus am Rebhang (Dielsdorf, CH) | Architektur: L3P Architekten (Regensberg, CH) | Bauherr: privat | Hersteller: Glas Trösch (Bützberg, CH), Kompetenz: Isolierglas mit Eckverglasung Silverstar Combi Neutral | weitere Projekten s. unten

Grenzabstände in Bauvorschriften sind sinnvoll und nützlich, denn sie halten Nachbarn zumindest baulich voneinander fern. Für den Architekten beinhalten sie meist den allerersten Schritt in einem Bauvorhaben, das Einzeichnen dessen also, was auf einem Grundstück überhaupt überbaut werden darf. Das taten auch die Planer von L3P Architekten aus dem schweizerischen Regensberg, als sie ein kleines Grundstück in der benachbarten Gemeinde Dielsdorf nordwestlich von Zürich zu beplanen begannen. Heraus kam dabei allerdings eine gerade einmal 5 x 9 m kleine Fläche, die in klassischer Wohnhausarchitektur nicht bebaubar gewesen wäre. Dielsdorf befindet sich in ländlicher Gegend, in der Nähe des Naturschutzgebietes Rütinoisen, mit einem Steinbruch im Rücken, an dessen Hängen Weinbau betrieben wird. So entwickelte der Architekt Boris Egli von L3P schließlich die Idee, die Konstruktion des Hauses quasi umzukehren und nach der Logik einer Weinrebe aufzubauen: mit einer massiven Mittelwand, Podesten und vorgehängten Fenstern, der Struktur von Stil, Geäst und den daran hängenden Trauben folgend. Die Mittelwand ist dabei das wichtigste tragende Element, von ihr aus kragen die Deckenplatten in verschiedenen Höhen und ohne zusätzliche Stütze aus. Die Querversteifung übernehmen zwei kurze Wandstücke, aus denen schlussendlich ein Bücherregal gemacht wurde. Der Beton ist als roher, imprägnierter Sichtbeton ausgeführt und mit 5 % Schwarz eingefärbt, wodurch er vor allem für die Wahrnehmung beruhigender wird. Der dunkle Hintergrund sorgt in der Außenansicht außerdem dafür, dass der Innenraum nicht allzu leicht einsehbar ist. Das Gebäudevolumen bzw. die Kubatur entsteht aus der Einhaltung der Grenzabstände, allerdings unter Ausreizung der Auskragungsvorschriften, die wiederum erkerartige Vorsprünge in der Fassade erlauben. Auch das Dach entspringt den Bauvorschriften, die an diesem Ort eine umlaufende Gebäudehöhe von 7,50 m erlauben, wodurch auf dem Hanggrundstück automatisch ein Pultdach entsteht.

Die Parzelle – ein Grundstück, das der Landeigentümer an die Architekten verkaufte, um es mit einem gebauten Projekt weiterzuverkaufen – galt bis dahin als nicht bebaubar. (Bild: Vito Stallone / Glas Trösch)

Der Innenraum scheint nur auf den ersten Blick verwirrend. Über den im Hang steckenden Carport gelangt man in den bis zu 5,44 m hohen Eingangsbereich. Hier befindet sich neben dem Keller und dem Haustechnikraum außerdem ein Doppelzimmer mit Bad, die Zimmer werden teilweise mit Oberlicht versorgt. Von hier aus steigt der Raum spiralförmig sich um die Mittelwand drehend an, mit immer wieder unterschiedlichen Raumhöhen von 2,02 m bis 7,26 m und Raumgrößen: Büro 4,6 m²; Essen 10,5 m²; Mehrzweckebene 7,9 m²; Küche 6,7 m²; Reduit 5,2 m²; Leseecke und Gästebereich 4,8 m²; Wohnen 15,4 m²; Bad 7,5 m²; Ankleide 3,8 m² und Schlafen mit Badewanne 11,4 m². Immer wieder werden die Versprünge zwischen den Podesten mit kleinen Differenzstufen verbunden, wodurch immer auch Sitzgelegenheiten entstehen. Der Sichtbeton indessen tritt allgegenwärtig in Erscheinung, an Wand, Decke, Boden und Bücherregal. Unterlagsböden, Trittschalldämmungen, Bodenbeläge, Gipserarbeiten, Malerarbeiten, die die Tragstruktur bedecken könnten kommen nicht vor. So kann und soll das Gerüst des Hauses als Speichermasse mit Phasenverschiebung wirken.

In dem «Mikro-Einfamilienhaus» findet eine 4-köpfige Familie auf gut 150 m² Platz zum Wohnen. (Bild: Vito Stallone)

Die Außenhaut bildet eine dem Tragwerk vorghängte Glasfassade (analog der Trauben der Weinrebe), deren Gestalt der spiralförmigen Bewegung des Raums folgt. Die Gläser sind raumhoch ausgebildet und bringen so eine größtmögliche Öffnung des Raums in die Umgebung. Für eine Verdunkelung sorgen bei Bedarf außenliegende Storen oder Vorhänge im Innenraum, die gegen die Glasseite aluminiumbeschichtet sind. Da die komplette Außenhaut im Prinzip aus Glas besteht, haben die Architekten ein kombiniertes Sonnenschutz- und Wärmedämmglas gewählt, das mit den teilweise großen Unterschieden zwischen Winter und Sommer gut zurechtkommt (Silverstar Combi, Glas Trösch). Dieses Glas haben die Fensterbauer in ein kombiniertes Holz/Aluminium-Pfosten-Riegel-System integriert, bei dem außen zwischen den dunklen Rahmen ein eleganter Aluminium-Streifen hervorlugt. Innen sind die vertikalen Rahmen ab und an mit LED-Streifen versehen, die für eine Grundbeleuchtung im Gebäude sorgen und im Raumkontinuum wie Fackeln in Höhlengängen wirken sollen. So haben L3P Architekten auf kleinster Fläche ein Wohnhaus geschaffen, das mit vielfältigen Dimensionen und Raumbezügen spielt und durch das optische Fehlen einer Gebäudehülle Außen- und Innenraum verschmelzt.

Das Wohnhaus ist radikal reduziert auf den nackten Betonrohbau, in dem dann die Möblierung und die Innendekoration für Luftschalldämmung sorgen werden. (Bild: Vito Stallone / Glas Trösch)
«Das Werk am Rebhang übernimmt die Logik der Weinrebe: tragende Mittelwand, Podeste und vorgehängte Fenster folgen der Struktur von Stil, Geäst und den daran hängenden Trauben», so Architekt Boris Egli. (Bild: Vito Stallone)
Um zudem den sommerlichen Wärmeschutz zu gewährleisten, durfte der Gesamtenergiedurchlassgrad (g-Wert) der Verglasung nicht tiefer als 30 % sein – «bei einem Fensterflächenanteil bezogen auf die Energiebezugsfläche von rund 290 % war das eine weitere Herausforderung», beton der Bauphysiker Stephan Huber. (Bilder: Vito Stallone)
Lageplan (Quelle: L3P)
Grundriss Obergeschoss (Quelle: L3P)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: L3P)
Fassadendetail Vertikal- und Horizontalschnitt (Quelle: L3P)
Auf den Eurofloat Basisgläsern ist die Silverstar Combi Beschichtung aufgebracht, die für ein ausgewogenes Verhältnis von Sonnen- und Wärmeschutz zu Lichttransmission und Reflexionsgrad sorgt. (Bild: Glas Trösch)
Im Entwurfsmodell gut zu sehen: Der Raum steigt spiralförmig um die Mittelwand an, die tragende Beton-Struktur wirkt dadurch wie Skulptur. (Bild: L3P)
Ein «ehrliches Betontragwerk» nennt der Bauingenieur Urs Oberli das Gebäude, bei dem die Mittelwand das Haupttragelement ist und die Versätze der Geschossdecken Rippen bilden. (Bild: Vito Stallone)

Projekt
Wohnhaus am Rebhang
Dielsdorf, CH

Architektur
L3P Architekten ETH FH SIA AG
Regensberg, CH

Projektverantwortlich: Boris Egli

Hersteller
Glas Trösch
Bützberg, CH

Kompetenz
Isolierglas mit Eckverglasung Silverstar Combi Neutral 61/32

Weitere Hersteller
Pfosten-Riegel-Fenstersystem: Ernst Schweizer AG Metallbau
Storen: Griesser AG
Leuchten Entree: falling up von tobias grau
Leuchte Esszimmer: MURANO Kronleuchter Rialto
Armatur Küche: KWC Eve
Armatur Dusche: Vola
Armatur Waschtisch: Gessi Goccia

Bauherr
privat

Bauingenieur
Bona + Fischer Ingenieurbüro AG
Winterthur, CH

Projektverantwortlich Urs Oberli

Fensterbauer
Schreinerei Schneider
Pratteln, CH

Landschaftsarchitekt
vetschpartner Landschaftsarchitekten AG
Zürich, CH

Projektverantwortlich Nils Lüpke

Lichtplaner
Lichtblick
Möriken, CH

Projektverantwortlich Thomas Schoch, Ulli Dittrich

Bauphysiker
Wichser Akustik & Bauphysik AG
Zürich, CH

Projektverantwortlich Stephan Huber

HLS-Planer
Bürge Haustechnik AG
Dielsdorf, CH

Projektverantwortlich; Ronny Hintermeister

Fertigstellung
2014

Fotografie
Vito Stallone


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