Zentralgebäude Leuphana Universität in Lüneburg von Daniel Libeskind

Libeskinds Brutkasten

Thomas Geuder
25. September 2017
Daniel Libeskinds neue Zentralgebäude der Leuphana Universität setzt ein markantes bauliches Zeichen auf dem Campus. (Bild: Till Schuster / Selux)

Projekt: Zentralgebäude Leuphana Universität in Lüneburg (Lüneburg, DE) | Architektur: Studio Libeskind (New York, USA und Zürich, CH) | Architekt vor Ort: rw+ Gesellschaft von Architekten mbH (Berlin, DE) | Hersteller: Selux AG (Berlin, DE), Kompetenz: M100-LED-Einbauleuchten mit Auflagewinkel in Lichtband-Anordnung, M60- und M100-LED-Pendelleuchten als Einzelleuchten und Lichtbänder | weitere Projektbeteiligte siehe unten

Mittlerweile ist der Architekt Daniel Libeskind durch viele seiner Projekte auf der ganzen Welt bekannt. Eines für ihr wohl bedeutendsten Werke aber ist mit Sicherheit das 2001 eröffnete Jüdische Museum in Berlin, das 1989 nicht nur zur Gründung des Studio Libeskinds zusammen mit seiner Partnerin Nina Libeskind (damals noch in Berlin) führte, sondern das Architekturbüro quasi über Nacht in die Reihen der Stararchitekten hob. Diese Referenz, die nicht zuletzt den architektonischen Anspruch Daniel Libeskinds an sich selbst formuliert, darf durchaus beim erst Anfang dieses Jahres eröffneten Zentralgebäude der Leuphana Universität in Lüneburg wieder herangezogen werden. Denn die Formensprache Libeskinds hat sich in den drei Jahrzehnten nicht wesentlich verändert, eher verfeinert, wenn man so möchte. Entsprechend ist sie beim Leuphana-Zentralgebäude zu finden. Auch das Fassadenmaterial – gräulich schimmernde Titanzink-Platten – ist das gleiche, wenn auch in anderem Format. Die Leuphanan-Universität befindet sich auf einem ehemaligen Militär-Areal, entsprechend nüchtern, geordnet ist an diesem Ort die bestehende Architektur. Dieser strengen Geometrie wollte Daniel Libeskind einen Kontrapunkt entgegensetzen, wofür er freilich ein sehr geeigneter Kandidat ist. So wurde der Auftrag vom Bauherrn denn auch direkt an ihn vergeben, nicht zuletzt auch weil er als Honorarprofessort an der Leuphana lehrte. Entstanden ist ein universales Bauwerk mit großer Geste, das am Ende – so liest man – fast doppel so teuer geworden ist, als geplant.

Die Aufnahme noch aus der Baustellenphase zeigt anschaulich, wie drei der vier Baukörper zueinander angeordnet sind. (Bild: Studio Libeskind / mit freundlicher Genehmigung der Leuphana Universität)

Der Neubau besteht aus vier Gebäudeteilen, die miteinander verschmolzen sind. Den Mittelpunkt im Ensemble bildet das siebenstöckige «Forschungszentrum» (FZ) mit einer Vielzahl kleiner und größerer Räume zum Arbeiten oder Lehren und einem Balkon mit großzügigem Weitblick über die Umgebung. Quasi links und rechts davon schließen das zweistöckige «Studierendenzentrum» (SU) und das dreistöckige «Seminarzentrum» (SE) an, deren Fenster ganz im Gegensatz zu den eher horizontal verlaufenden Fensterbändern des FZs flächig geometrisch in der Fassade zu liegen scheinen. Auffallend ist deren geschwungene Dachform, die im Zusammenspiel mit dem FZ einen durchaus freundlichen, beinahe Smiley-artigen Charakter vermitteln. Das Ensemble hat durchaus verschiedene Hauptansichtsseiten, wenn man davon überhaupt sprechen kann. So befindet sich «neben» den genannten drei Gebäudeteilen das Auditorium, das liebevoll «Libeskind Auditorium» getauft wurde, ein eher geschlossener Bauteil, in den das rechteckige, großvolumige Auditorium deutlich ablesbar ist. Zur Ecke des Ensembles erhebt sich das SE mit einer großzügigen Geste und bildet so augenscheinlich den Haupteingang.

Geometrische, frei angeordnete Fensterflächen schmücken die flacheren Gebäudeteile, das hohe «Forschungszentrum» besitzt eher Fensterbänder. (Bild: Leuphana)

Daniel Libeskinds Inspiration zu seinem Entwurf gründet auf der baulichen Übersetzung der Überzeugung, dass Architektur Einfluss auf Bild und Wissenschaft hat. Das Gebäude soll für die Umbrüche, Annäherungen, Variablen und Kontingenzen, die für modernen Wissenschaften unabdingbar sind, um die Realität zu erfassen, stehen. Ein Anspruch, der unmittelbar aus der Philosophie der Leuphana Universität entspringt: Dort hat man sich zum Ziel gesetzt, durch Ausrichtung an neuen, gesellschaftlich relevanten Forschungsthemen zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beizutragen und die dabei beteiligten Disziplinen so einzubinden, dass sie sich durch diese Herausforderung inhaltlich und methodisch weiterentwickeln. «Für das neue Zentralgebäude der Leuphana habe ich mich vom Geist dieser Universität inspirieren lassen. Die Leuphana erlebe ich als einen Brutkasten für neue Ideen, Innovation, Forschung und Entdeckung. Von diesen Elementen ist auch das neue Haus durchdrungen», beschreibt Libeskind seinen Ansatz.

Sich bei direkter Sonneneinstrahlung verdunkelnde Fenstergläser verstärken den Kontrast zur schimmernden Fassade. (Bild: EControl)

Drinnen stößt man – man vermutete es draußen bereits – auf entsprechend komplexe, teils desorientierende Raumstrukturen, deren Charakter durch helle Oberflächen bestimmt wird. Prägend ist neben den geometrischen Fensteröffnungen das lineare Kunstlicht, das die kantige Raumkonfiguration noch betont. Die Planer arbeiteten hier ebenfalls mit einem Altbekannten aus der Zeit des Jüdischen Museums: Die 40 cm bis 24 m langen, mit diversen Extras wie LED-Spots, Stromschienen und Sicherheitsbeleuchtung ausgestatteten Lichtbandleuchten stammen vonm Leuchtenhersteller Selux aus Berlin. Sie sind mit schrägen Endwinkeln versehen, um sich quasi nahtlos mit der Wand zu verbinden. Um die Direkt- und Reflexblendung zu reduzieren, verfügen die Leuchten über eine spezielle Linsenoptik mit Microprismen, die sich hinter der Acrylabdeckung verbirgt. So wurden auf den 13.000 m² Nutzfläche insgesamt 2.500 laufende Meter Lichtlinien verbaut.

Das räumlich und formal komplexe Atrium mitten im Ensemble wird von Treppen und Brücken durchkreuzt. (Bild: Till Schuster / Selux)

Um die Sonneneinstrahlung bei Bedarf zu verringern, sind die Fenster übrigens mit sich selbst tönendem Glas von EControl versehen. Die Betondecken sind leichte Cobiax-Decken, wodurch Stahl und Beton gespart werden konnte. Das und einige weitere Parameter wie Präsenz- und tageslichtgesteuerte Beleuchtung und Belüftung, CO2-Sensoren, Kühldecken mit Phasenwechselmaterialien oder auch Monitoring führten im Jahr 2009 dazu, dass das Energiekonzept des Gebäudes den Preis «Architektur mit Energie» des Bundeswirtschaftsministeriums erhielt und so zu einem Demonstrationsgebäude im Rahmen des Forschungsprogrammes «EnOB – energieoptimiertes Bauen» wurde. Dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil blieb bei der Eröffnung also kein anderer Schluss: «Die Universität hat ein architektonisches Highlight bekommen, auf das auch Stadt und Region stolz sein können.»

Linien aus Kunstlicht schaffen zusätzliche Ordnungsebenen an der Decke, die bewusst Unruhe erzeugen. (Bild: Leuphana)
Abgehängte Lichtlinien sorgen in besonders hohen Räumen für eine den Raum relativierende Zwischenebene. (Bild: Till Schuster / Selux)
Natürliches Licht durch geometrische Fenster sowie künstliches direktes und indirektes Licht erzeugen Libeskind-typische Szenarien. (Bild: Leuphana)
Übersicht der Gebäudevolumina, Blick von oben (Quelle: Studio Libeskind)
Schnitt durch AU Auditorium und SE Seminarzentrum (Quelle: Leuphana)

Rundflug um die Baustelle 11/2016 (1:14 min., Leuphana Videos)

Entstehung (mit Zeitraffer) (1:26 min., Leuphana Videos)

Der Blick vom oberen Balkon im Forschungszentrum FZ kann man einen weiten Blick über die Umgebung bis nach Lüneburg genießen. (Bild: Leuphana)
Blick auf die Baustelle: Mit der Titanzinkverkleidung konnten derart «scharfe» Kanten erzeugt werden. (Bild: Studio Libeskind / Leuphana)
Kubisch mit buckeligem Dach liegt das «Libeskind Auditorium» recht massiv im Ensemble und blick fensterlos den nach Lüneburg kommenden Autofahrern entgegen. (Bild: Studio Libeskind / Leuphana)

Zur Eröffnung berichtete bereits unser Kollege Carsten Sauerbrei von dem Projekt: Libeskind in Lüneburg

Projekt
Zentralgebäude der Leuphana Universität
(Lüneburg, DE)

Architektur
Studio Libeskind
New York, USA und Zürich, CH)

Bauherr
Stiftung Universität Leuphana
Lüneburg, DE

Hersteller
Selux AG
Berlin, DE

Kompetenz
M100-LED-Einbauleuchten mit Auflagewinkel in Lichtband-Anordnung, M60- und M100-LED-Pendelleuchten als Einzelleuchten und Lichtbänder

Architekt vor Ort
rw+ Gesellschaft von Architekten mbH
Berlin, DE)

Tragwerksplanung
Boll und Partner. Beratende Ingenieure VBI Ingenieurgesellschaft mbH & Co KG
Stuttgart, DE

Akustikplanung
ADA Acoustics & Media Consultants GmbH
Berlin, DE

Lichtplanung
Studio Dinnebier / Licht Licht
Berlin, DE

Beratung Fassade
Arup GmbH

Landschaftsarchitektur
arbos Freiraumplanung GmbH & Co. KG
Hamburg, DE

Elektroplanung
Emutec GmbH
Norderstedt, DE

Elektroinstallation
R+S solutions GmbH
Lübeck, DE

Fertigstellung
2017

Fotografie
Till Schuster
Leuphana
Studio Libeskind


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