Selbstlernzentrum LEO an der Uni Kassel von ATELIER 30

Konzentrieren und parlieren

Thomas Geuder
7. Mai 2017
Das neue Selbstlernzentrum LEO an der Uni Kassel reagiert mit seiner Vorhangfassade auf die Gestaltung der umliegenden Bauten. (Bild: Monika Nikolic)

Projekt: Selbstlernzentrum LEO an der Uni Kassel (Kassel, DE) | Architektur: ATELIER 30 Architekten (Kassel, DE) | Bauherr: Land Hessen (Wiesbaden, DE) | Hersteller: Laukien GmbH (Kiel, DE), Kompetenz: Fassadenbleche Aluminium-Trapezblech | vollständige Bautafel siehe unten

Wie in vielen Städten ist der Campus der Universität Kassel geprägt von ein recht wilden Durcheinander an Gebäudeformen und -typen aus verschiedenen Jahrzehnten. Eine gewachsene Struktur, könnten man auch sagen. Die jüngeren Gebäude im Ensemble zeigen sich eher wie Solitäre, mit horizontaler äußerer Erscheinung, typische Fensterbänder. Die älteren Gebäude besitzen meist klassische Lochfassaden. In diesem Umfeld ein neues Gebäude zu errichten, bedeutet auch immer, eine städtebaulich wie architektonisch vermittelnde Position einnehmen zu müssen. So ist der Neubau des Selbstlernzentrums LEO inmitten der neueren Campusfläche auch ein Gelenkpunkt zwischen verschiedenen Stilen, beeinflusst vor allem durch die direkten Nachbarn mit metallischer Fassadenmaterialität mit im einen Fall starker Horizontalität und im anderen Fall einer gewissen Plastizität. Die Architekten von Atelier 30 – mit Büro unweit des Baugrunds auf der andere Seite des nahe gelegenen Flusses Fulda – haben an diesem Ort ein pavillonartiges Gebäude erschaffen, dessen Kubatur von klar aus den strukturellen Bezügen des Grundstücks entwickelt ist. Aus den Gebäudekanten der Nachbarn und den Wegen bzw. Achsen des Campus ist so ein trapezförmiges Bauwerk entstanden, vor dem städtebaulich geschickt ein großzügiger, begrünter Platz angeordnet ist, der zukünftig das Potenzial zum zentralen sommerlichen Aufenthaltsort für die Studierenden hat. Hier befindet sich auch der Haupteingang, markiert durch einen Rücksprung der Fassade im Erdgeschoss mit großzügiger, geschosshoher Verglasung – in der Formsprache übrigens passend zur gegenüberliegenden, ebenfalls leicht plastisch ausgebildeten Fassade.

Das Erdgeschoss öffnet sich am Haupteingang durch einen teilweise verglasten und zurückgesetzten Sockel zu einem begrünten Platz. (Bild: Monika Nikolic)

Die äußere Haut des Gebäudes besteht aus einem homogenen Kleid aus gelochtem Trapezblech, was dem Bauwerk durch die klare Kantung eine gewisse Präzision verleiht, gleichzeitig aber auch die vertikal strukturierte Oberflächenstruktur leicht wolkenhaft vernebelt. Zur Konstruktion dieser Fassade wurden wärmebrückenfreie Thermokonsolen verwendet, die in der Dämmebene verschwinden, sodass die schwarze, wasserführende Ebene davor unterbrechungsfrei durchlaufen kann, gehalten durch ebenfalls schwarze, horizontale Tragprofile, an die schließlich das Kleid aus gelochten Aluminium-Trapezblechen montiert ist. Präzise Einschnitte im Fassadenkleid im Obergeschoss bilden die Panoramafenster für die Lernlandschaften im Innenraum.

Aus gelochtem Aluminium-Trapezblech besteht das Kleid des Gebäudes, das dadurch präzise Kanten und eine vertikal strukturierte Oberfläche erhält. (Bild: Atelier 30)

Auch im Gebäudeinneren gehen die Architekten den «ehrlichen» Weg einer minimalistischen Collage weniger, sorgfältig aufeinander abgestimmter Materialien. Damit sollen ein selbstverständliches Zusammenspiel und ein unaufgeregter, gleichzeitig dynamischer Ort generiert werden. Die Oberflächen bleiben meist in Metall oder Hellgrau, Sauerkraut-Platten an Decken uns Wänden sind ebenso anzutreffen wie Beton und melaminbeschichtete Oberflächen. Im Erdgeschoss setzt sich die gestreifte Wirkung der Fassade an der Decke in Form von schmalen Aluminium-Lamellen fort. Farbe erhält der Raum durch die Möblierung und schlussendlich durch die Studierenden. Die finden hier eine räumliche Struktur vor, die Kommunizieren und das Konzentrieren auf vielfältige Weise möglich machen soll: allein oder in unterschiedlichen Gruppengrößen, an flexiblen Lerninseln, Hochboards oder betretbaren Kuben. Im Entspannungsraum mit Hängesesseln läuft die gelochte Alufassade wie ein Filter über die bodenhohen Fenster hinweg und schafft so ein eher introvertierte Atmosphäre. Im ganzen Innenraum war es das Ziel der Planer, eine möglichst offene, zonierte Grundrissstruktur zu schaffen – Lernlandschaften also, durch die sich die Studierenden ideal und unaufdringlich miteinander verknüpfen können.

Beinahe wie ein übergeworfenes, dünnes Kleid wirkt die Fassadenhaut, je nach Bilckwinkel. (Bild: Monika Nikolic)
Im Erdgeschoss wird das Thema der linearen Struktur der Fassade an der Decke weitergeführt. (Bild:Monika Nikolic)
Im Obergeschoss befindet sich neben den Lerninseln ein Entspannungsraum mit Hängesesseln, die Lochblechfassade vor den Fenstern wirkt hier wie ein Filter. (Bild: Monika Nikolic)
Lageplan (Norden rechts) (Quelle: ATELIER 30)
Grundrisse Erdgeschoss und Obergeschoss und Längsschnitt (Quelle: ATELIER 30)
Die vertikale Tragstruktur aus wärmebrückenfreien Thermokonsolen verschwindet bündig in der Dämmebene. (Bild: ATELIER 30)
Die vertikale Tragstruktur aus wärmebrückenfreien Thermokonsolen verschwindet bündig in der Dämmebene. (Bild: ATELIER 30)
Die eigentliche, wasserführende Schicht besteht aus einer dunklen Fassadenbahn, vor der sich nur noch die ebenfalls dunklen Tragprofile für das gelochte Kleid befinden. (Bild: ATELIER 30)

Projekt
Selbstlernzentrum LEO an der Uni Kassel
Kassel, DE

Architektur
ATELIER 30 Architekten GmbH
Kassel, DE

Hersteller
Laukien GmbH
Kiel, DE

Kompetenz
Fassadenbleche Aluminium-Trapezblech

Weitere Hersteller
Abhangdecke Erdgeschoss, Aluminium-Lamellen: Nagelstutz und Eichler
Holzwolle-Akustikplatten: Heradesign, Knauf AMF

Bauherr
Land Hessen
Wiesbaden, DE

Fassadenmontage
ET Wakofix Montagebau GmbH & Co. KG
Kassel, DE

HLS
IWE Ingenieurberatung
Kassel, DE

ELT
KBI Keydel Bock Ingenieure GmbH
Göttingen, DE

Tragwerksplanung
AMK Beratende Ingenieure für Bauwesen
Kassel, DE

Landschaftsarchitektur
K1 Landschaftsarchitekten
Berlin, DE

BGF
1.822 m²

BRI
7.914 m²

Fertigstellung
2016

Fotografie
Monika Nikolic
ATELIER 30


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