Deutscher Natursteinpreis 2018, Interview mit dem Gesamtsieger Arno Lederer, LRO

Die Qualität des Raums

Thomas Geuder
19. Juni 2018
Gewinner des Deutschen Natursteinpreises 2018 ist das Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei mit ihrem Projekt Historisches Museum in Frankfurt am Main – im Bild hinter der Alten Nikolaikriche. (Bild: Roland Halbe / LRO)

Thomas Geuder: Der Neubau Historischen Museums in Frankfurt am Main, für den Sie heute den Deutschen Natursteinpreis erhalten haben, stellt hier am Römer – also im Herzen von Frankfurt – durch seine Bauform bzw. Gebäudekubatur besondere Bezüge her, auch im Vergleich zum Vorgängerbau. Was war Ihr (stadt-)räumliches Konzept?
Arno Lederer: Der Städtebau war ganz entscheidend bei diesem Projekt. Dass das Historische Museum sich mitten in der Altstadt befindet, macht den Standort besonders interessant. Hier befand sich einst eine der größten zusammenhängenden Fachwerk-Altstädte Deutschlands. Was im Museum gezeigt wird, war und ist außen teilweise erlebbar. Die Vergangenheit und die Gegenwart sind also vorhanden, durch den Ort, die Geschichte und die Bilder, die man im Museum findet. Sehr interessant ist auch, wenn man den Altstadtplan studiert: Es gab hier ursprünglich drei Wege, einmal entlang des Mains, dann eine Zwischengasse und schließlich die Gasse an der Alten Nikolaikirche. Anfang der 1970er-Jahren verschwand mit dem damaligen Neubau die mittlere dieser Achsen.

Und eben die spielt jetzt wieder eine wichtige Rolle, oder?
Genau, das ist die Ache, an der jetzt der neue Platz entstanden ist. Wichtig für uns war dabei aber vor allem die Haltung, die dahinter steht, unsere Auffassung von Städtebau und Architektur. Die Moderne war mit dem Bau aus den 1970er-Jahren schon vorhanden. Und mit ihr der Glaube, dass die Technik das Gestalt bestimmende Merkmal der Architektur ist. Dann gibt es natürlich die andere Richtung, die der Altstadtfreunde, die nach einer Rekonstruktion verlangten.

Inmitten des neuen Gebäudeensembles entsteht nun wieder ein öffentlicher Raum, der gleichzeitig den Eingang zum Museum markiert. (Bild: Roland Halbe / Deutscher Natursteinpreis)

Wie es unweit des Historischen Museums nun auch geschehen ist.
Wie in der nun rekonstruierten Altstadt auf der anderen Seite des Römers, ja. Und wir glauben, dass es zwischen der Moderne und der rekonstruktiven Haltung noch irgendetwas anderes geben muss, das weder das eine noch das andere nachahmt oder weiter verfolgt. Die Architektur muss sich eine Position erschaffen, die unabhängig von diesen beiden Richtungen ist, die zielführender ist und weiter geht. Wir beschreiben das als den „dritten Weg“.

Sie meinen also eine Architektur, die die Tradition des Ortes in sich vereint, aber trotzdem aus dem heutigen Standpunkt in die Zukunft blickt?
Genau. Wir sehen ja am Beispiel der neuen Frankfurter Altstadt, dass – das muss man einfach konstatieren – in der Bevölkerung plötzlich ein ungeheures Bewusstsein für Geschichte vorhanden ist. Eine Geschichte, die natürlich vor allem nach dem Krieg und den Kriegszerstörungen verneint wurde, aus bekannten, nachvollziehbaren und für die damalige Situation offensichtlich auch richtigen Gründen. Nun musste jedoch dieser Schlenker der Geschichte ausgemerzt werden, weil man sich der Historie eben doch nicht ganz entziehen kann. Der Kulturkreis, aus dem wir kommen, steckt tief in uns drin. Auf der anderen Seite muss man als Architekt auch ein Versprechen in die Zukunft geben. Nur zu sagen, dass das eine schön war und wir deswegen direkt daran anbinden wollen, geht ja auch nicht! Die Gesellschaft hat sich in der Zwischenzeit verändert.

Die augenfällige Stirnseite des Langhauses ziert ein verglaster Erker, der entweder den Blick zum Römer auf der einen Seite oder der zum Main mit Eisernem Steg freigibt. (Bild: Roland Halbe / Deutscher Natursteinpreis)

An was haben Sie sich dann beim Entwurf orientiert? Immerhin ist das ein recht geschichtsträchtiger Ort.
Es gibt bestimmte Dinge, die konstant sind. Zum Beispiel, was eine gute Größe für einen Platz ist oder die Dichte einer Straße. Es stellt sich die Frage, wie man die langsame Bewegung wieder in die Stadt hinein bekommt. Und wenn man die Stadt langsamer macht, spielt plötzlich auch die Qualität der Fassaden wieder eine Rolle, weil durch die Langsamkeit plötzlich die analoge Welt an Bedeutung gewinnt.

Es Ihnen also um ganz ursprüngliche Qualitäten der Architektur – Qualitäten, die auch schon seit Jahrhunderten gelten.
Was diese traditionellen Qualitäten angeht, glaube ich schon, dass einiges verloren gegangen ist. Auch das Gefühl von Zufriedenheit oder auch Bequemlichkeit. Karl Kraus sagt: „Gemütlich bin ich selbst.“ Aber die Gemütlichkeit spielt eben doch eine Rolle. Nicht im Sinne von kitschig oder altbacken. Es geht eher darum, einen angenehmen Raum zu bilden. Ein Raum, der Ruhe ausströmt und der einen auch dazu bringt, sich für bestimmte Dinge Zeit zu nehmen. Im Städtebau ist das ganz wichtig: Wenn wir die Stadträume zurückgewinnen wollen, wenn wir wollen, dass die analoge Welt das Gegenstück zur digitalen Welt und vielleicht sogar wertvoller ist, weil sie beständiger ist, dann muss er wieder Qualität bekommen.

Die Oberfläche der Fassaden ist auf verschiedenen Ebenen strukturiert: durch die Maserung des Stein, durch die Mauerung und durch die Bearbeitung. (Bild: Roland Halbe / LRO)

Diese Raumqualität definiert sich durch die umgebenden Flächen, die Oberflächentexturen und Materialitäten. Bei Ihren Bauten fand man bisher meist Ziegel. Beim Historischen Museum ist das ein Naturstein, also für Sie ein eher ungewöhnliches Material, oder?
Ich muss natürlich zugeben, dass wir im Wettbewerb zunächst noch Ziegel verwendet haben, einen Altziegel. Den verwenden wir immer wieder gerne, natürlich wegen der Ästhetik, aber auch wegen der Nachhaltigkeit. Wir sind der Auffassung, dass man Dinge nicht wegwerfen sollte, die man eigentlich wiederverwenden kann. Das ist womöglich ein ganz simples Argument, dennoch aber ein ganz wesentliches für den Umgang mit den Ressourcen. Beim Altziegel aber hat die Stadt Frankfurt gefragt, ob der wirklich sein muss. Wir haben dann gesagt: Nein, wir können uns das auch in Naturstein vorstellen. Wir wollten jedoch nicht diese typischen Naturstein-Verkleidungen mit einem dünnen Häutchen außen und einer 25 cm dicken Wärmedämmung dahinter haben. Vielmehr sollte die Fassade gemauert sein. Damit diese Mauerung auch spürbar ist, sieht man die einzelnen Steine, übrigens ein sehr langes Format mit der doppelten Höhe und der vierfachen Länge.

Und die Oberfläche wurde dann nachträglich noch bearbeitet, um dieses augenfällige Muster zu erhalten, oder?
Das war insgesamt ein recht komplizierter Prozess, denn die Oberflächen wurden tatsächlich zum Teil schon vor der Vermauerung vorbereitet. Das Rautenmuster ist ein für Frankfurt typisches Motiv, weshalb wir es am Eingangsgebäude angebracht haben. Meine Frau Jórunn saß übrigens sehr lange am Entwurf des Musters.

Es sieht einfach aus, ist aber vermutlich sehr kompliziert.
Weil es eben auch mit den technischen Details zusammengehen muss, etwa mit den Lüftungsöffnungen, mit den Fenstern, bis hin zur Traufe.

Die Rautenfassade im Detail zeigt, wie genau die einzelnen gestalerischen und konstruktiven Elemente aufeinander abgestimmt sein mussten. (Bild: Roland Halbe / Deutscher Natursteinpreis)

Gerade weil Sie eher vom Ziegel kommen: Bietet der Naturstein für Sie also einen größeren Gestaltungsspielraum?
Ja, das schon. Beim Ziegel stellt sich sehr stark die Frage nach der Beschaffenheit des Mauerwerks und der Vermauerung an sich: Welchen Verband nimmt man? Arbeitet man dreidimensional? Der Naturstein ist ein ganz anderes Material, weil er bereits in sich eine Struktur hat und viel lebendiger ist. Der wesentliche Unterschied ist aber, dass man den Naturstein behauen und vielfältig bearbeiten kann.

Höre ich da eine gewisse neue Liebe zum Material Naturstein heraus?
Durchaus. Wir würden gerne mehr in Naturstein machen, aber – das muss dazu gesagt werden – das hängt natürlich von den Kosten ab. Dass jedoch ein Material gut wäre, das in den Primärkosten zwar etwas teurer ist, durch seine Haltbarkeit dann aber günstiger wird, diese Einsicht ist bei den meisten Bauherren leider nicht vorhanden. Wir geben einfach zu wenig Geld für die materielle Nachhaltigkeit aus. Dauerhafte Materialien halten 200 oder 300 Jahre, doch wir geben das meiste Geld für die technische Ausstattung aus, um scheinbar Energie zu sparen. Die Nachhaltigkeit der Technik aber liegt bei 25 Jahren.

Zumal sich Technologien recht schnell überholen können.
Rasant sogar! Man sieht es so oft: Nach 15 oder 20 Jahren werden die Dinge einfach weggeschmissen. Dann heißt es: Kauf einen neuen Heizkessel, installiere neue Solarkollektoren, und so weiter. Die Zeit bis zum Verfallsdatum ist eminent kurz.

Lageplan mit Situation seit den 1970er-Jahren und mit neuer Situation. (Quelle: LRO)

Die Architektur bzw. das Bauwesen hätte, was das Thema Nachhaltigkeit angeht, doch einige altbewährte Lösungen parat.
Ja. Und doch ist es sehr merkwürdig, dass die Frage nach dem Altbewährten überhaupt nicht von Interesse ist. Aber, es gibt in der Architektur eben Dinge, die seit tausenden von Jahren gleich sind und Bestand haben. Erfahrungswerte. Diese anthropologischen Gegebenheiten werden meist einfach übersehen, weil immer neue Dinge erfunden werden, die uns ein neues und anderes Leben bieten sollen. Wenn wir aber dann am Abend zum Beispiel zusammen sitzen, in der Küche, bei gedämpftem Licht, dann kommen plötzlich unsere alten Gene, die uns sagen, was eigentlich angenehm und bequem ist.

Und diese Werte individuell herauszuarbeiten, sehen Sie als eine der wichtigen Aufgaben des Architekten.
Ja. Was übrigens überhaupt nicht gegen den technischen Fortschritt spricht. Es geht viel mehr um das rechte Maß. All das führt uns schließlich zurück zu der Frage, wie es mit der Architektur nun weiter gehen soll. Unserer Meinung nach führt das eben zu dem, was wir als den „dritten Weg“ bezeichnen.

Vielen Dank für das abendliche Gespräch, Herr Lederer, und noch einmal herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung.
Auch allen anderen Gewinnern beim Deutschen Natursteinpreis gratulieren wir auf diesem Weg herzlich.

Der Preisträger Arno Lederer / LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei bei seiner Dankesrede (Bild: Nürnbergmesse / Frank Boxler)
Alle Preisträger mit einer Anerkennung Ausgezeichneten des Deutschen Natursteinpreises 2018 beim offiziellen Gruppenbild. (Bild: Thomas Geuder)
Preisträger Kategorie „Landschaftsbau und Freiraumgestaltung“: WES LandschaftsArchitektur. Aus dem Juryurteil: Die neu gestaltete Marktplatzfläche aus ortstypischem Gomeraner Quarzitpflaster in verschiedenen Formaten vereint die bestehenden Gebäude zu einem schlüssigen Stadtgefüge, ohne dabei zeitgemäße Anforderungen an Barrierefreiheit bzw. komfortable Begehbarkeit oder Oberflächenentwässerung zu vernachlässigen. (Bild: Helge Mundt / Deutscher Natursteinpreis)
Preisträger Kategorie „Massive Bauten und Bauteile im Bestand“: Hilmer & Sattler und Albrecht. Aus der Juryurteil: Spürbar haben die Architekten nicht nur eine Fassade rekonstruiert, sondern sich intensiv mit allen Details der Geschichte des Vorgängerbaus auseinandergesetzt und unter Berücksichtigung der aktuellen Nutzeranforderungen mittels sorgfältiger Ausführungsplanung und Ausnutzung der heutigen baulichen Möglichkeiten ein imposantes Gebäude geschaffen. (Bild: Stefan Müller / Deutscher Natursteinpreis)
Preisträger Kategorie „Ein- und Mehrfamilienhäuser“: Max Dudler. Aus dem Juryurteil: Das Projekt ist ein herausragendes Beispiel für den Typus des Wohnhochhauses, welcher in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der immer knapper werdenden innerstädtischen Flächen eine unerwartete Renaissance erlebt. (Bild: Stefan Müller / Deutscher Natursteinpreis)

Das Historische Museum war bereits ein Bau der Woche bei German-Architects: Ausstellungs-Speicher


Deutscher Natursteinpreis 2018
Preisträger Gesamtpreis und Kategorie „Öffentliche Gebäude und Gewerbe“


Projekt
Neubau Historisches Museum
Frankfurt am Main, DE

Architektur
Lederer Ragnarsdóttir Oei
Stuttgart, DE

Team
Daniel Steinhübl, Eva Casper, Hamze Jalloul, David Fornol, Anna Schönhoff, Marc Kager, Stefanie Günter, Hannah Thibault, Urban Kreuz

Bauherr
Stadt Frankfurt am Main
Dezernat VII - Kultur und Wissenschaft, Kulturamt
vertreten durch das Hochbauamt 65.32
Frankfurt am Main, DE

Naturstein
Neckartäler Hartsandstein

Fotografie
Roland Halbe, Stuttgart
über LRO und den Deutschen Natursteinpreis


Die weiteren Preisträger:

Preisträger Kategorie „Landschaftsbau und Freiraumgestaltung“
Projekt: Neugestaltung Markt und angrenzende Bereiche, Bad Lauchstädt, DE
Landschaftsarchitektur: WES LandschaftsArchitektur mit H.-H. Krafft, Berlin, DE
Bauherr: Goethestadt Bad Lauchstädt, DE
Naturstein: Gomeraner Quarzit, hellbeiger Granit

Preisträger Kategorie „Massive Bauteile und Bauen im Bestand“
Projekt: Museum Barberini, Potsdam, DE
Architektur: Hilmer & Sattler und Albrecht, Berlin, DE
Bauherr: Museum Barberini, Potsdam, DE
Naturstein: Sandstein aus dem Elbsandsteingebirge und Schlesien

Preisträger Kategorie „Ein- und Mehrfamilienhäuser“
Projekt: Schwabinger Tor N10, München, DE
Architektur: Max Dudler, Berlin, DE
Bauherr: Jost Hurler Beteiligungs- und Verwaltungsgesellschaft, München, DE
Naturstein: Kalkstein Trosselfels feinporig
Projektvorschläge
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