ZUKUNFT WOHNEN Scheidtweiler Straße, Köln

Individuelles und Kollektives

Peter Petz
11. Mai 2016
Blick von Westen

Peter Petz: Im Kölner Westen in Braunsfeld soll am Standort Scheidtweiler Straße eine Bestandssiedlung weitentwickelt werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden? 
Karin Damrau und Bernd Kusserow: Braunsfeld gilt einerseits als eines der bevorzugten Wohnviertel. Man wohnt verkehrsgünstig und zentrumsnah. Im Süden grenzt der Stadtteil an den Stadtwald, eines der beliebtesten innerstädtischen Naherholungsgebiete Kölns. Hier kann man für den Quadratmeter Wohnraum bis zu zu 6.500 €/m² zahlen. Andererseits umfasst der Stadtteil Flächen kleiner und mittlerer Industrie- und Gewerbebetriebe. Das 165m lange und 20m breite Baufeld, das wir bearbeitet haben, liegt kaum 300 Meter Luftlinie entfernt von dieser Top-Wohnlage und grenzt auf gesamter Länge an den großen Betriebshof der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) mit entsprechendem Geräuschpegel eines Straßenbahndepots. Ein großes Hotel, die Bürozentrale einer Versicherung, ein großer Supermarkt, viele Kleinbetriebe - alles in Sichtweite. Einen spannenderen Ort für einen Entwurf kann man sich somit kaum wünschen.  

Lageplan

Welche Vorstellung von Wohnen und Gemeinschaft liegt Ihrem Entwurf zugrunde?
Das Langhaus Braunsfeld setzt sich aus zwei Elementen zusammen; einem «urbanen Sockel» und einer Abfolge verschiedener «Wohncharaktere», die sich auf dem Sockel aneinanderreihen. Der Sockel greift eine Vielzahl urbaner Funktionen des Stadtteils auf, die die Erdgeschosszone beleben und menschliches Miteinander ermöglichen: Neben Flächen für Handel, Gastronomie und Dienstleistungen, finden sich im Sockel diverse Funktionen, die dem nachbarschaftliche Zusammenleben dienen. Der Sockel umfasst zwei Nachbarschaftshöfe, die Treffpunkt und zentraler Kommunikationsraum sind. So ähnlich wie der Hof eines Geschosswohnungsbaus mit Raum für Kinderspiel, Hausfeste, Jugendliche, gemeinschaftliche Beete und so weiter. Sie ermöglichen eine Interaktion zwischen den Bewohnern und dem öffentlichen Raum. An die Höfe grenzen unmittelbar Gemeinschafträume an - der Außenraum ergänzt im Sommer den Innenraum. Die auf dem Sockel angeordneten Wohnhäuser spiegeln die Vielfalt des Wohnens in einer Großstadt wieder. Jeder Haustyp bietet Wohnraum für verschiedene Lebensformen und zudem ein eigenes Raumgefühl. So haben wir beispielsweise in einem Hausabschnitt Reihenhaus-Typen gestapelt, in denen das klassische Familienwohnen möglich ist. Daneben bietet das Langhaus Raum für neue Wohnformen, wie zum Beispiel Senioren-WGs. Die verschiedenen «Wohncharaktere» sind an der Fassade ablesbar und tragen trotz der Länge des Gebäudekörpers zur Identifizierung mit dem eigenen Haustyp bei. Durch eine Begrenzung der gestaltbildenden Mittel wird der Baukörper dennoch als Ganzes gelesen.

Aktivierung des Außenraums, Urbaner Sockel und Wohncharakter

Wie formulieren Sie die Freiräume?
Die Auslober hatten angeregt, über die innerstädtische Dichte nachzudenken. Unser Beitrag schlägt eine GFZ von 3,0 und einer GRZ von 0,8 vor. Eventuell wird es im Projektverlauf auch noch etwas dichter werden. Da sind die verbleibenden Freiräume natürlich besonders wichtig. Wir konnten für den Wettbewerb den Landschaftsarchitekten Frank Flor vom Club L 94 gewinnen. Mit Frank diskutieren wir bei diesem Wettbewerb vornehmlich über den Städtebau. So sah Frank zum Beispiel ein großes Potential darin, von unserem 20-Meter-Handtuchgrundstück nochmal üppige 3 Meter auf 165 Meter Länge dem Straßenraum zuzuordnen, um die Bepflanzung von straßenbegleitenden Bäumen zu ermöglichen. Das landschaftsarchitektonische Konzept verfolgt somit das Ziel, die Attraktivität der Freiflächen durch eine Aktivierung des städtischen Außenraums aufzuwerten. Durch das Zurücksetzen des Baukörpers entsteht eine neue halböffentliche Zone, die für die Bewohner vielseitig nutzbar ist. 

Kinderspiel im Osten

Welche Standards sind für die Wohnungen vorgesehen?
Der Auftraggeber - DIE EHRENFELDER Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft eG - plant an dem Standort Wohnungen zu errichten, die im Bestand gehalten werden. Die Genossenschaft wurde 1899 gegründet und baut seit 117 Jahren für Ihre Mitglieder. Das allein definiert schon mal Standards. Wir haben dann im Laufe der Bearbeitung beschlossen, unsere Grundrisskonzepte den Haustypen zuzuordnen und die Wohnungen ganz einfach zu stapeln. Die Wohnungstypen sind also klar nebeneinander angeordnet und nicht bunt ineinander gemischt und verschachtelt. Die Sockelzone und die Gemeinschaftsbereiche binden die einzelnen Wohnformen dann wieder zusammen. Wir wollten dem Bauherren ein Konzept vorschlagen, dass einerseits die Zukunft des Wohnens reflektiert und andererseits auch realisierbar und wirtschaftlich ist.

Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. Obergeschoss
Schnitt

Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?
Uns interessiert die Frage, welches Potenzial die Architektur hat, um Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu geben. Wie lässt sich Individuelles mit Kollektivem verbinden? Was kann Architektur über die Frage des Wohnens hinaus für die Stadt und den öffentlichen Raum, die Gesellschaft, leisten? Uns war es wichtig, mit den Gestaltmitteln der Gegenwart einen Beitrag für eine vielfältige Zukunft zu liefern. 

Nachbarschaftshof

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Ja. Der Bauherr hat das Ziel formuliert, das Projekt 2020 zu realisieren. 

Modell

ZUKUNFT WOHNEN
​Weiterentwicklung von Bestandssiedlungen in Köln, Standort Scheidtweiler Straße

Entwurfswerkstatt als Mehrfachbeauftragung

Jury
Franz-Josef Höing | Jürgen Minkus | Prof. Kirsten Schemel | Werner Nußbaum

Preis
Architekt: Damrau Kusserow Architekten, Köln
Landschaftsarchitekt: Club L 94, Köln

Anerkennung
Architekt: Sauerbruch Hutton, Berlin

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