Salone del Mobile 2016/Fuori Salone

Susanna Koeberle
20. April 2016
«50 Manga Chairs», Instalation von Nendo im Chiostro Minore di San Simpliciano (Bild: S. Koeberle)

Und plötzlich sind alle da. Während des Salone del Mobile im April wird Mailand regelrecht in ein Designbad getaucht. Jeder, der das Wort Design buchstabieren kann, findet sich in der Hauptstadt der Lombardei ein und will Teil des ganzen Getriebes sein, sei es als Aussteller oder Besucher. Das Angebot an Inszenierungen, Ausstellungen und Events wächst stetig und machte den Besuch des Fuori Salone auch 2016 zu einer Stadtwanderung im Turbotempo. Dieses Jahr können Mailand-Besucher allerdings auch nach Ende des Salone am 17. April Design in seiner ganzen Bandbreite erleben. Die XXI. internationale Triennale mit dem Titel «21st Century. Design after Design» dauert noch bis zum 12. September. Neben dem Triennale Designmuseum gibt es auch weitere Locations. Herausragend ist die Ausstellung (in der Triennale selber) «Neo-Preistoria», die von Andrea Branzi und Kenya Hara kuratiert wurde. Die Geschichte der Menschheit wird über 100 Objekte erzählt, ausgehend von einer bestimmten Aktivität. Die Interaktion zwischen Mensch und Ding wird dadurch anschaulich. Die Ausstellung zeigt eine primäre Dimension von Gestaltung auf, die weit über den schönen Schein von ornamentalen Objekten geht, sondern das Thema auf eine existentielle Ebene hebt. Dadurch werden auch Fragen zum unserem Verhältnis zur materiellen Welt aufgeworfen. Das ist mehr wert als zu erfahren, was die neue Trendfarbe ist.

Gerade nach dem Besuch der Messe mit ihren unzähligen Hallen, dem Gewusel und der Produkteschlacht will man nämlich als Besucherin nie mehr einen Stuhl sehen, zumindest eine Weile nicht. Abgesehen davon, dass ein Stand an der Messe ein beachtliches finanzielles Engagement bedeutet, ist vielen Herstellern klar geworden, dass man Welten um das Produkt kreieren muss, um als Brand wahrgenommen zu werden. Die suggestive Präsentation von Möbelstücken im kleinen Rahmen bleibt länger haften als megalomanische Standarchitekturen. Spannender als die vielen Neuheiten sind nämlich thematische Ausstellungen oder schlichte Inszenierungen, die mehr aussagen über das Wesen von Gestaltung und die Zukunft des Designs. Zum Gelingen der Inszenierungen trägt die richtige Location vieles bei.

Im Palazzo Litta ist die Ausstellung «A Matter of Perception. Tradition & Technology» zu sehen, welche Arbeiten von über 100 Designern vereint. Im Hof gibt es eine Installation des Architekten Diébédo Francis Kéré (Alle Bilder: S. Koeberle)

Mailand bietet architektonisch eine unglaubliche Vielfalt an. Diese während des Fuori Salone neu zu entdecken, inspiriert. Viele Palazzi, wie etwa der Palazzo Litta aus dem 17. Jahrhundert, sind nur selten zugänglich, andere, wie die Bauten des FAI (Fondo Ambiente Italiano, eine private Institution, die historische Häuser begehbar macht), werden während des Salone gemietet und als Ausstellungsort genutzt. So etwa die Villa Necchi Campiglio, erbaut vom Mailänder Architekt Piero Portaluppi (1888-1967). Dieses Jahr zeigte dort die Wirtschaftskammer Österreich die Designausstellung «Back Ahead».  Neben diesen Bauwerken gab es auch weniger spektakuläre Orte, wie kleine Innenhöfe, stimmungsvolle Wohnungen oder alte Nutzbauten, zu erkunden. Das ehemalige Kino Cinema Arti zum Beispiel: Für das Modelabel COS kreierte der japanische Architekt Sou Fujimoto die Installation «Forest of Light», die gestresste Salone-Besucher einen kurzen Moment aufatmen liess. Mit kleinen Eingriffen schuf der Architekt einen Raum, in welchem Licht und Besucher auf subtile Weise interagierten.

Installation «Forest of Light» von Sou Fujimoto im Cinema Arti

Überhaupt muss man die diesjährigen japanischen Auftritte in Mailand besonders hervorheben. Die Japaner sind Meister darin, Orte zu schaffen, in denen Produkt und Poesie zum einem Ganzen verschmelzen. Zudem stehen dahinter oft Projekte, die bezüglich Kooperationen Vorbildcharakter haben.  So etwa die «Casa Gifu» in Brera, die die Zusammenarbeit zwischen  Atelier Oï, der Präfektur Gifu  und dem italienischen Hersteller Danese präsentiert. Oder das Projekt «2016arita», das anlässlich des 400-Jahre-Jubiläums der Porzellan-Manufakturen in Arita  gezeigt wird. 16 Designer (darunter auch deutsche Büros wie Christian Haas oder Stefan und Saskia Diez) wurden eingeladen, nach Japan zu reisen und zusammen mit den Familienbetrieben vor Ort neue Kollektionen zu entwickeln. Das Resultat dieser schönen Zusammenarbeit wurde im April erstmals in Mailand vorgeführt und soll anschließend ins Rijksmuseum Amsterdam wandern. Gelungen war auch die Ausstellung von Karimoku New Standard in einem versteckten Innenhof im Zentrum von Mailand. Seit einigen Jahren hat der Schweizer David Glaettli die Art Direction des japanischen Brands inne. Gezeigt wurden neue und alte Entwürfe zusammen mit den Bildern der koreanischen Künstlerin Chung Eun Mo. Auch Nendo brillierte mit «50 Manga Chairs»  und liess Möbel zu Figuren mit Charakter werden.

Sofa «Castor» von Big Game und Tisch von Scholten & Baijings mit Bildern von Chung Eun Mo

Die Präsentation von Karimoku war Teil des 5VIE Art + Design, einer Gegend unweit des Doms, die zum dritten Mal verschiedene Ausstellungen versammelte. Zentrum des Distrikts war eine ehemalige Garage. Nach Marten Baas im 2014 und Max Lamb im 2015 wurde diesmal das israelische Duo Raw Edges mit einer Inszenierung beauftragt. Die performative Installation «Herringbones» verwandelte die Location in eine Art Laboratorium, das die Arbeitsweise der beiden Designer erfahrbar machte. Auch die Ausstellung «Ladies & Gentleman» in einer Wohnung, die früher Schauplatz des Mailänder Nachtlebens war, weckte Interesse an der Geschichte des Ortes.

«Herringbones», eine Installation von Raw Edges im 5VIE Distrikt

Selbst Produzenten aus den USA ließen es sich nicht nehmen, in Mailand ihre Neuheiten zu zeigen. Hermann Miller, der für Büromöbel bekannt ist, arbeitete mit dem Londoner Leuchten-Designer Michael Anastassiades zusammen, der für den Brand erstmals auch Möbel entwarf. Im Mailänder Showroom des Herstellers bewies Anastassiades seine Begabung, Räume zu lesen und zu inszenieren.  Der Titel der Installation, «The Double Dream of Spring», passte aber nicht nur zur Designausstellung. Denn die zweite wahre Protagonistin dieses Designmegaevents war dieses Jahr die Glyzinie – denn sie blühte, wohl durch die milden Temperaturen, bereits und begleitete das bunte Designtreiben dieser Woche...

Bild: S. Koeberle

Außerdem sehenswert:
– Triennale Design Museum: Ausstellung «Woman in Italian Design», Katalog hier 
– Pirelli Hangarbicocca: «Architecture as Art» 
– Fabbrica del Vapore: «New Craft»
Spazio Rossana Orlandi
– Historische Häuser zur Besichtigung: Villa Necchi und andere (Details)

Etwas ausserhalb von Milano kann man auf Anmeldung auch die Villa des Architekten und Designers Osvaldo Borsani (1911-1985) besichtigen (Details)

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