Bau des Jahres 2015

Material-Vielfalt und Experimentierfreude

Katinka Corts
10. Februar 2016
Bild: Andreas Horsky

Mit dem Publikumspreis «Bau des Jahres» möchten wir unserer Leserschaft die Möglichkeit geben, aus den übers Jahr präsentierten Bauten der Woche ein Lieblingsprojekt zu prämieren. Wir freuen uns, dass wir auch dieses Jahr eine starke Beteiligung an der Abstimmung sehen durften. Der Sieger gewann deutlich: Die Grimmwelt in Kassel von kadawittfeldarchitektur erhielt eineinhalb Mal so viele Stimmen wie das zweitplatzierte, der Neubau des Fraunhofer-Zentrums in Bayreuth (kister scheithauer gross). Den dritten Platz belegte die Modernisierung des Dreischeibenhauses in Düsseldorf (HPP Architekten).

Bild: Andreas Horsky
Bild: Andreas Horsky

Der Entwurf für die Grimmwelt ging 2011 aus einem Wettbewerb hervor. Es sollte ein Ausstellungsgebäude für die Präsentation und Erforschung des Werkes der «Märchenbrüder» entwickelt werden, das als zentrale Anlaufstelle den Geist und das Werk der beiden Sprachwissenschaftler lebendig hält. Städtebaulich ist der Neubau zentraler Bestandteil eines Gesamtkonzepts, das mit dem Grimm-Denkmal und einer eigenen Grimm-Abteilung im Hessischen Landesmuseum in der unmittelbaren Nachbarschaft einen Dreiklang bildet. 

Ein Haus als begehbare Skulptur
Die Grimmwelt ist die «gebaute Fortsetzung des steilen Hangs», erklären die Architekten. Jener war Ende des 19. Jahrhunderts für den Bau zweier Fabrikanten-Villen terrassiert worden – an das 1945 bei einem Bombenangriff zerstörte Henschel-Haus erinnern heute nur noch steinerne Relikte im Garten. Aus dem Park gelangt man über eine weite, nach oben etwas schmaler werdende Treppe hinauf auf das Dach. 2000 Quadratmeter öffentlich begehbare und zudem auch über einen Aufzug erreichbare Fläche – eine Einladung an Besucher, diesen einmaligen Ort oberhalb der Stadt auch außerhalb der Öffnungszeiten mit Leben zu füllen. Treppe und Hülle überzieht Gauinger Travertin, eine Verbindung zum Kalkstein des Weinbergs, auf dem das Museum steht.

Bild: kadawittfeldarchitektur
Bild: Andreas Horsky

In der documenta Stadt Kassel ist die Grimmwelt in nur zwei Jahren Bauzeit entstanden. «Die kurze Bauzeit ist außergewöhnlich für ein Gebäude dieses Anspruchs», sagte Stadtbaurat Christof Nolda anlässlich der Eröffnung im vergangenen September. «Dank der Kompetenz und des hohen Engagements aller an der Entstehung Beteiligten konnte die Grimmwelt auch innerhalb des vorgesehenen Kostenrahmens von 20 Millionen Euro realisiert werden. Es ist ein besonderes Haus entstanden, das zu entdecken sich lohnt». Holzer Kobler gestalteten die Ausstellung im Gebäude – in 25 Ausstellungseinheiten in unterschiedlichen Grössenordnungen und Erlebnisformaten bietet die Grimmwelt nun einen Rahmen für die facettenreichen Schaffensbereiche der Brüder Grimm. 

«Publikumspreise sind für uns von großer Bedeutung, da sie zur kritischen Auseinandersetzung mit der gestalteten Umwelt anregen. Über das großartige Abschneiden freuen wir uns sehr – es ist Ansporn für die Zukunft. Herzlichen Dank an alle, die für uns gestimmt haben!»
Gerhard Wittfeld, geschäftsführender Gesellschafter von kadawittfeldarchitektur

Großprojekte auch auf den Rängen
Das Fraunhofer-Zentrum HTL Bayreuth, unser zweitplatziertes Projekt, bewegt sich finanziell im gleichen Rahmen wie das Museum. Auch hier prägt eine ungewöhnliche Fassade das Bild, wenn auch nicht ganz so monilithisch wie bei der Grimmwelt: kister scheithauer gross haben für den Forschungsbau eine Keramikfassade entwickelt, deren Musterung an die feinen Risse in der Glasur gebrannter Keramik erinnern soll. Und an die Brennöfen, die sich im Zentrum für Hochtemperatur-Leichtbau befinden.
Bei der Modernisierung des Dreischeibenhauses, die bei der Abstimmung in knapper Distanz zum zweiten den dritten Platz belegte, fällt neben der feinen Detaillierung der silbrig-grünen Stahl-Glasfassade die Größe auf. 33'700 m2 Bürofläche haben HPP Architekten für eine zeitgemäße Nutzung als Verwaltungsbau modernisiert. Um bei den Materialien weiterzumachen: Der vierte Platz ging an das spektakulär in den Boden versenkte Konzerthaus in Blaibach (Peter Haimerl Architektur) – hier regiert Beton die Optik. Der Architekt erzählte uns, er habe bei der Fassadenentwicklung auf seine Frau, die Fotokünstlerin Jutta Görlich, gehört: Zu einem Zwischenstand des Entwurfs meinte sie, dass die Fassaden noch Luft nach oben hätten. Am Ende arbeiteten alle Mitarbeiter vor Ort mit am Finish der Fassaden. Und zuletzt möchten wir noch den fünften Platz erwähnen, einer der kleinsten Bauten der Woche 2015: Der Remisenpavillon in Affinghausen von Wirth Architekten bringt zuletzt den Ziegel als Baustoff mit ins Spiel. Ob Garage, Tanzraum oder Essbereich – die Architekten haben den Pavillon vielschichtig gedacht und sagten uns: «Wo geparkt werden sollte, steht nun eine Inspiration, Feste zu feiern».  

Fraunhofer-Zentrum HTL in Bayreuth von kister scheithauer gross architekten und stadtplaner (Bild: Yohan Zerdoun)
Modernisierung des Dreischeibenhauses in Düsseldorf von HPP Architekten (Bild Ralph Richter)
Konzerthaus in Blaibach von Peter Haimerl Architektur (Bild: Edward Beierle)
Remisenpavillon in Affinghausen von Wirth Architekten (Bild: Christian Burmester)

Wir würden uns freuen, wenn Sie die diesjährige Wahl dazu bringt, uns zu kontaktieren: Schicken Sie uns Informationen über Ihre Projekte und schlagen Sie sie für den Bau der Woche vor. Jene 50 Projekte, die dieses Jahr von uns ausgewählt und vorgestellt werden, sind im Januar nächsten Jahres Kandidat für den Bau des Jahres 2016. 

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