Investorenprojekte gefährden wichtige Berliner Kulturbauten

Einstürzende Altbauten

Carsten Sauerbrei
9. März 2016
Gerüste zur Schadensbeseitigung im Inneren der Friedrichswerderschen Kirche (Bild: EKBO)

Wegen Schäden geschlossen, der Eingang durch Container und Werbung für die «Kronprinzengärten» der BAUWERT Investment Group versperrt – die Friedrichswerdersche Kirche, ein Hauptwerk Karl Friedrich Schinkels, gibt derzeit ein trauriges Bild in Berlins Mitte ab. Das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben, denn nachdem die Neubauten auf der westlichen Seite sich ihrer Fertigstellung nähern, begann kürzlich die Frankonia Bau AG auf dem östlichen Nachbargrundstück mit den Bauarbeiten für ihr Projekt «Berlin Schinkelplatz». Selbst der Berliner Senat, so berichtete der Tagesspiegel bereits im Januar, schließt weitere Schäden an der ersten neogotischen, von 1824 – 1830 erbauten Kirche Berlins durch die Exklusivität versprechenden, neuen Büro- und Wohngebäude nicht aus.

Schwer beschädigte Schinkel-Kirche
Das Drama um Beschädigung, Schließung und mögliche Einsturzgefahr der Kirche begann Ende 2012, als beim Ausheben der Baugrube für die zweigeschossige Tiefgarage der Luxuswohnanlage der BAUWERT sich das Kirchenfundament senkte. Es folgten ein Baustopp und die Stabilisierung der Fundamente mittels Zement, der über sogenannte Lanzen unter das historische Gebäudes gespritzt wurde. Die damals entstandenen Risse im Inneren sind mittlerweile wieder verschlossen. Wann jedoch die Skulpturensammlung der Staatlichen Museen Berlin, die bis dahin die Kirche nutzte, wieder einziehen wird, ist noch völlig ungewiss. Sicher hingegen ist, dass die Arbeiten an der Baugrube für die insgesamt drei neuen Gebäude, entworfen von Rafael Moneo, Axel Schultes und Hemprich Tophof Architekten, seit Herbst letzten Jahres zügig voranschreiten. Man habe die Schlitzwände bis in 15 Metern Tiefe montiert, so der Bauherr in einer Mitteilung vom 26. Februar. Diese seien deutlich stabiler und tiefer als beim Projekt auf der westlichen Seite der Kirche und die Baugrubensohle werde mit dem besonders schonenden Hochdruckinjektionsverfahren erstellt. Ob diese Maßnahmen die Kirchengemeinde als Eigentümer und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Nutzer wirklich beruhigen, ist zu bezweifeln. Wenigstens stehe man unmittelbar vor dem Abschluss einer Nachbarschaftsvereinbarung mit dem Bauherrn, die die Kooperation während der Bauarbeiten einvernehmlich regeln soll, so der von der Kirchengemeinde beauftragte Rechtsanwalt Dr. Lothar Franz auf Nachfrage.

Arbeiten an der Baugrube für Bauvorhaben «Berlin Schinkelplatz» der Frankonia Bau AG (Bild: Autor)
Städtebauliche Studie auf Grundlage des geltenden Bebauungsplans (Bild: Klaus Theo Brenner – Stadtarchitektur)

Rückkehr zum historischen Stadtgrundriss
Selbst wenn weitere Schäden am denkmalgeschützten Bauwerk ausbleiben, so stellen die neuen Nachbarn die historische Kirche jedoch buchstäblich in den Schatten. Wo bisher das Licht ungehindert durch die historischen Beiglasfenster fiel, wird in Zukunft wesentlich mehr künstliche Beleuchtung notwendig sein, um Skulpturen wie die berühmte Prinzessinnengruppe von Johann Gottfried Schadow ins rechte Licht zu rücken. Dabei können sich die Investoren guten Gewissens auf den geltenden Bebauungsplan I-208-1 von 1996 berufen, für den die Architekten des Berliner Planungsbüros Herwarth + Holz verantwortlich zeichnen.
Dessen Intention verdeutlicht der Erläuterungstext: «Die Bebauungsvarianten basieren auf den unterschiedlichen Bauphasen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Diese wurden jedoch nicht 1:1 in die Varianten, sondern vielmehr – im Sinne einer zukünftig tragfähigen Bebauungsstruktur sowie einer guten Vermarktbarkeit – interpretierend aufgenommen.» «Gute Vermarktbarkeit», das war bestimmt nicht das, was der Berliner Architekt Josef Paul Kleihues, geistiger Vater der «Kritischen Rekonstruktion», also der interpretierenden Rückkehr zum historischen Stadtgrundriss mit «kritisch» meinte. In einem 2001 für die Architekturdokumentation «Berlin Babylon» entstandenen Interview erläutert er sein Konzept vielmehr so: «Gemeint ist damit, daß man sich mit der Geschichte kritisch auseinandersetzen muß, ebenso wie mit der Moderne des Bauens.»

Ausverkauf landeseigener Grundstücke
Die ursprüngliche Absicht, mittels kritischer Interpretation der Berliner Stadtbaugeschichte eine neue stadträumliche Qualität zu schaffen, wandelte sich jedoch unter der Ägide des 1991 als Berliner Senatsbaudirektor berufenen Hans Stimmann und den finanziellen Interessen der Berliner Landespolitik zu einer Neuinterpretation des Alten in Hinblick auf bessere Marktchancen. Das führte – wie in der Umgebung der Friedrichswerderschen Kirche gut zu beobachten – zu im Vergleich zu früher wesentlich höheren Grundstücksausnutzungen und der Genehmigung größerer Bautiefen, um großzügige Tiefgaragen zu ermöglichen. Bis heute ist diese Haltung mit dem Planwerk «Innere Stadt» verbindliche Berliner Planungsgrundlage, insbesondere für weite Teile der Berliner Mitte. Das Land Berlin verdiente bis vor kurzem an dieser marktgerechten Stadtplanung kräftig mit, indem es landeseigene Grundstücke meistbietend an Investoren veräußerte. Ein gewiss zu bedauernder Kollateralschaden, dass dabei so lästige, unnötig Geld kostende Dinge wie denkmalgeschützte Kulturbauten auch schon mal auf der Strecke bleiben können.

Abriss von Max-Reinhardt-Bühne
Auch bei einem anderen, aktuellen Berliner Bauvorhaben besitzt die Kultur in der Auseinandersetzung mit Politik und Investoren schlechte Karten. Diesmal handelt es sich um die Sanierung des 1974 fertiggestellten «Kudamm-Karrees», eines unübersichtlichen Komplexes aus Bürohochhaus, Passage, Parkhaus, Büro- und Gewerbeflächen sowie zweier Boulevardtheater, dem Theater und der Komödie am Kurfürstendamm, deren Intendant in den 1920er-Jahren unter anderem Max Reinhardt war. Diese beiden, weitgehend im Zustand von 1928 erhaltenen Theater haben bisher sowohl den Zweiten Weltkrieg wie auch die Abrisswut der Nachkriegszeit überlebt und sollen nun «einer zukunftsfähigen Stadtteilreparatur» weichen, um die «Bausünden der vergangenen Jahrzehnte in einem ganzen Quartier» zu beheben, wie es Norman Schaaf, Geschäftsführer des Investors, der Cells Bauwelt formuliert. Mit «Bausünden» sind sicher nicht die eleganten, zurückhaltend ornamentierten Theatersäle Oskar Kaufmanns gemeint, des bedeutendsten Berliner Theaterarchitekten der 1910er- und 1920er-Jahre. Zynisch, dass ausgerechnet sie den Preis für die Fehler der 70er-Jahre-Planung zahlen sollen.

Saal der Komödie am Kurfürstendamm (Bild: Thomas Grünholz)
Aktuelle Ansicht des «Kudamm-Karrees» vom Kurfürstendamm (Bild: Autor)

Bausünden der 1970er-Jahre
Vor Ort, hinter der banalen, postmodern gestalten Fassade des straßenseitigen Büroriegels vermutet man sie kaum, die zwei bestbesuchten Sprechtheater Berlins. Nur die roten Schriftzüge über ihren Eingängen weisen den Weg zu ihnen. Dazwischen liegt der schmale, kaum wahrnehmbare Zugang zur wenig attraktiven Passage, die gesäumt von größtenteils leerstehenden Läden ins Innere des Grundstücks führt. Nachvollziehbar, dass der Investor diesen unbefriedigenden Zustand ändern und sein Grundstück zum Kurfürstendamm öffnen möchte. So sieht es folgerichtig auch das Ende Januar präsentierte Konzept der Berliner Architekten von Kleihues + Kleihues vor, die planen, mit einem großzügigen Einschnitt an der Straßenseite Passanten direkt in das Innere des 20'000 Quadratmeter großen Grundstücks auf eine neue, zentral gelegene Piazza zu führen.
Die beiden Bühnen stehen dieser Planung nicht wirklich im Weg, denn schließlich gibt es mit der Passage auch heute schon einen Weg ins Innere. Dieser müsste nur verbreitert werden, was aber in der Konsequenz weniger Nutzflächen bedeuten würde. Nachvollziehbar und dennoch von wenig Geschichtsbewusstsein zeugend, dass bei einer kolportierten Kaufsumme von 155 Millionen Euro und einem vom Voreigentümer geschätzten Investitionsaufwand von 500 Millionen Euro der Bauherr lieber Theater abreißt, die «niemals in der Lage sein werden, die ortsüblichen Mieten zu zahlen», als Rendite versprechende Gewerbeflächen zu opfern.

Entwurf für Neubebauung am Kurfürstendamm (Bild: Kleihues + Kleihues)
Entwurf für neuen Theatersaal (Bild: Kleihues + Kleihues)

Multifunktionaler Neubau statt Theatergeschichte
Kleihues + Kleihues sehen als Ersatz für die beiden bestehenden Säle mit insgesamt über 1400 Plätzen einen unterirdischen Neubau mit circa 630 Plätzen unter der zentralen Piazza vor. Dessen einziger erkennbarer Charme besteht bisher in einem 50er-Jahre-Eleganz ausstrahlenden Eingangspavillon mit weit auskragendem Vordach. Um dem Betreiber weitere Einnahmen unabhängig vom Theaterbetrieb zu ermöglichen, könnte laut Bauherr «der Saal auch multifunktional eingerichtet und für andere Events genutzt werden.» Fragt sich nur, warum man die geschätzten 40 Millionen Euro Kosten für den Theaterneubau nicht spart und in ein Konzept investiert, was sowohl den Erhalt der Bühnen als auch eine Sanierung des übrigen Bestandes ermöglicht.

Denkmalschutz abgelehnt
Den Erhalt der Bühnen durchzusetzen wäre jedoch vorrangig Aufgabe der Berliner Politik und Verwaltung, nicht des Investors. Kulturpolitiker aller Parteien haben sich seit Präsentation der aktuellen Pläne Ende Januar mehrfach für den Erhalt des Theaterstandorts, jedoch nicht in gleicher Weise für die historischen Säle ausgesprochen. So stört sich der für die Erteilung der Baugenehmigung zuständige Bezirksbaustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf Marc Schulte (SPD) in einer Äußerung gegenüber dem RBB vom 04.03.2016 nicht am Abriss, fordert aber eine Festsetzung der Theaternutzung. Das wirksamste Mittel, um den Abriss der Bühnen in letzter Minute doch noch zu verhindern, wäre sicherlich der Denkmalschutz, den Politiker von Linken und Grünen ebenfalls im Bericht des RBB fordern. Der Landesdenkmalrat lehnte die Unterschutzstellung jedoch bereits im April 2006 ab, mit der Begründung, dass es «innerhalb der denkmalgeschützten Theaterlandschaft bedeutende erhaltene Bauten von Oskar Kaufmann» gäbe, und die beiden Bühnen «mehrfach stark verändert, modernisiert und überformt wurden.»
 
Bei dieser Ausgangslage ist das Ergebnis der Verhandlungen über den Erhalt der historischen Säle leicht vorherzusehen. Sollte nicht noch in letzter Minute ein finanzkräftiger Kulturfreund aus dem Nichts auftauchen, der wenigstens den Einbau von Originalteilen der Innenausstattung in einen Theaterneubau finanziert, wird es einen Komplettabriss der historischen Säle geben. Auch diesmal, wie schon bei der Friedrichswerderschen Kirche, schlechte Aussichten für Architektur und Kultur in Berlin.

Carsten Sauerbrei hat Architektur und Architekturvermittlung in Potsdam und Cottbus studiert. Seit 2009 arbeitet er als freier Architekturjournalist und Stadtführer in Berlin und Potsdam. Er ist Inhaber von architekTour B, einer Agentur für Architekturführungen.

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