Bauen als Katalysator

Ulf Meyer
7. März 2018
In Minami-Sanriku wurden zwei zerstörte Gebäude als Mahnmal erhalten (Bild: Ulf Meyer)

Sieben Jahre nach dem verheerenden Dreifach-Schlag von Seebeben, Tsunami und Strahlenkatastrophe am 11. März 2011 blickt Japan auf sich selbst: 20'000 Menschen sind tot oder vemisst und 200'000 Häuser innerhalb weniger Minuten zerstört. Ganze Landstriche entlang der Pazifikküste sind seitdem verwüstet. An der Nordostküste werden derzeit fleißig die Küstenorte wiederaufgebaut, hinter hohen "Seawalls" versteckt. Eine Ausstellung im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin (JDZB) mit dem Titel „7 Jahre danach … Spurensuche und Blick nach vorn“ beleuchtet den Wiederaufbau in der Region Tohoku mit zwei Foto-Ausstellungen: „Tsukuba-Narita 2011/03/13“ heißt die eine und zeigt Fotografien von Jens Liebchen in Nordostjapan. Durch die Scheiben eines Busses spiegeln die Bilder der Fotoserie wie in einem makaberen Road-Movie die Stimmung vom März 2011 wider. Die zweite Schau mit dem Titel „Nach dem Ende“ von Ingrid Mackensen stellt Hilfsprojekte vor, an denen Bewohner beteiligt waren und die nicht nur dem Wiederaufbau, sondern auch der gesellschaftlichen Rehabilitation dienen.

Die Zerstörungen vom 9. März stellen die Architektenschaft vor neue Aufgaben. Der Berufsstand ist mit der Verletzlichkeit seiner Werke konfrontiert und will einen Beitrag zur Bewältigung der Situation und dem Wiederaufbau leisten. Diverse bekannte Architekten sind daran beteiligt: Toyo Ito, Riken Yamamoto, Hiroshi Naito, Kengo Kuma und Kazuyo Sejima etwa haben die Gruppe "KISYN-no-kai" gegründet und mit ihrem „Home-for-All“ in Miyagino-ku einen Prototyp für den Wiederaufbau vorgestellt. Das Minna no Ie in Sendai ist ein Prototyp für den Wiederaufbau. Itos leichte Holzbaukonstruktion mit Satteldach bietet 40 m² Fläche als „öffentliches Wohnzimmer“. Bei den Gesprächen mit Bewohnern der Notunterkünfte hatte Ito herausgefunden, dass mit dem Übergang von Notunterkünften zu Behelfswohnungen die neu gefundene Zusammenarbeit unter den Opfern des „11.3.“ oft verloren geht und deshalb Bedarf an einem „sozialen Treffpunkt der Überlebenden“ besteht. Die Wiederaufbaupläne, die die örtlichen Ingenieuren erarbeiten, sind Ito zu “inhuman”. Für Kamaishi, eine zerstörte Küstenstadt mit 40'000 Einwohnern, erarbeitet er deshalb einen Wiederaufbauplan zusammen mit Bürgervertretern, Stadtplanern und Politikern.

Minna no ie “House for all” von Toyo Ito (Bild: Ulf Meyer)
Home-for-All in Yabuki-machi / Ako Nagao, Keiko Nogami, Sakashi Kunishima, Yoshio Ohta (Bild: Bild: Home-for-All)

Die von der Regierung eingesetzte Expertenkommission formuliert ihre Vision für die Revitalisierung der Nord-Ostküste so: Sie soll über den bloßen Wiederaufbau hinausgehen und „ganz Japan zu einer Renaissance verhelfen“. Im dichtbesiedelten Japan ist die Leerstelle, die das Desaster hinterlassen hat, ungewöhnlich: Das Versagen der Sicherheitssysteme im Kernkraftwerk Fukushima und die politischen und wirtschaftlichen Schwächen, die es offenbarte, haben zu einer Erosion des öffentlichen Vertrauens geführt. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt möchte den Wiederaufbau Tohokus deshalb als Katalysator für die ganze Nation nutzen. Die Region Tohoku litt – wie viele ländliche Regionen Japans - schon vor dem Unglück unter sinkenden Geburtenzahlen und einer alternden Bevölkerung. Der Wiederaufbau soll deshalb zum Modellfall für die Reviatlisierung aller Küstenorte in Japan werden.
Optimisten ziehen Japans Wiederaufstieg nach dem zweiten Weltkrieg als positives Beispiel heran. Tadao Ando war jedoch nicht allein, als er öffentlich in Frage stellte, dass die heutige Bevölkerung ähnlich leidensfähig ist wie in den 1950er-Jahren: “Den Fleiss von damals gibt es heute nicht mehr. Leben heisst kämpfen, aber im heutigen Japan möchte niemand mehr kämpfen”, so der Ex-Boxer. Ando, der stellvertretende Vorsitzende der Wiederaufbaukommission, moniert auch staatliche Lethargie: “Die Welt verfolgt den Wiederaufbau in Japan aufmerksam. Wenn er nicht gelingt, wird das Vertrauen in Japan schwinden – und damit auch die Investitionsbereitschaft”, so Ando.

Katsuhiro Miyamotos Vorschlag zur Umgestaltung des zerstörten AKWs zum Shinto-Schrein (Bild: Ulf Meyer)

Unmittelbar nach dem 11. März 2011 entwarf Shigeru Ban erste Trennwände, die ein wenig Intimsphäre in den Notunterkünften ermöglichen, temporäre Bäder für die persönliche Hygiene und zum Entspannen oder Hundehäuser aus Pappe für Menschen. In der zweiten Phase schlug Ban vor, aus Containern temporäre Wohnsiedlungen aufzubauen. In der dritten Phase nun sollen die Betroffenen in Workshops selber mitbestimmen, wie ihre Orte wiederaufgebaut werden – und auch, wie dem Unglück gedacht werden soll. Einige zerstörte, oder schlicht auf ihre Seite geworfene Gebäude, sollen als Mahnmale und Gedenkorte erhalten bleiben.
Totale Sicherheit wird es auch nach dem Wiederaufbau nicht geben – deshalb steht die Begrenzung zukünftiger Schäden im Vordergrund: Alle Deiche und Ufermauern sollen – stärker als zuvor – wiederaufgebaut werden: Einer Welle wie am 11. März würden sie dennoch nicht standhalten. Deshalb sollen nur höhergelegene Gebiete wieder urbanisiert und die Fluchtmöglichkeiten verbessert werden. Die Neuansiedlung von Zehntausenden von Menschen auf höherliegenden Grundstücken wirft jedoch finanzielle und juristische Fragen auf und die städtebauliche Distanzwahrung gegenüber dem Meer wird trotz der Gefahr nicht von jedem Bewohner akzeptiert.

Fotograf Jens Liebchen zeigt die Stimmung nach dem Unglück (Bild: Jens Liebchen)

Um aus der gegenwärtigen „tabula rasa” von Tohoku wieder blühende Landschaften zu machen, sollen Sonderwirtschaftszonen eingerichtet werden, in denen laxe Auflagen und Steuergeschenke Beschäftigung und wirtschaftlichen Aufschwung bringen. Einige Regionalplaner schlagen vor, nicht alle Orte zum Wiederaufbau vorzusehen, sondern die verbliebene Bevölkerung in einigen, wenigen Neustädten zu konsolidieren. Denn es ist schwer einzuschätzen, wie viele „Opfer des 11.3.“ in ihre Heimatregion zurückkehren und wieviel Bedarf an neuen Orten in Tohoku bestehen wird. Eine grundlegend neue Energiepolitik ist nicht zu erkennen und dass sich Japan wie einst nach dem zweiten Weltkrieg am eigenen Schopf aus seinem Dilemma zieht, ist nicht zu erwarten. Japan als Gastgeber der Olympischen Sommerspiele hat im Jahr 2020 Gelegenheit, der Welt ein anderes Bild von sich zu zeigen – dann wird Bilanz gezogen, wie Japan mit den Folgen des Mehrfach-Unglücks umgeht. Zwar zeigt die Zentralregierung in Tokio mit Milliarden-Summen und Geschwadern von Lastern und Kränen, dass sie determiniert wirken möchte, die Tohoku-Region nicht kampflos in einen ökonomischen Abwärtsstrudel taumeln zu lassen. Die japanischen Baukonzerne haben große Aufträge zum Wiederaufbau erhalten und sind angerückt. Ihre „Consultants“ entwerfen die neuen Orte nach dem Vorbild amerikanischer Stadtrandsiedlungen der 1950er-Jahre. Es herrscht Aktionismus – und der bringt eine neue Welle der Zerstörung über die gebeutelten Ortschaften. Diese sensiblere, demokratischere Herangehensweise bleibt einstweilen weitgehend ein Feigenblatt. Es regieren die Zementwerke. Sicherheit vor Seebeben wird es jedoch auch nach dem Wiederaufbau nicht geben. Das Palimpsest wird überschrieben – der nächste Tsunami kommt gewiss.

„7 Jahre danach … Spurensuche und Blick nach vorn“
Japanisch-Deutsches Zentrum
Saargemünder Straße 2, Berlin
Mo–Do 10–17 Uhr, Fr 10–15:30 Uhr,
Ausstellung bis 30. April 2018

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